Maserninfektion löscht Immungedächtnis – Masernimpfung schützt
Maserninfektionen sind nicht harmlos – sie können schwere Krankheitsverläufe verursachen, die auch tödlich enden können. Jetzt haben Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) im Verbund mit Wissenschaftlern aus Großbritannien und den Niederlanden herausgefunden, dass Masernviren einen Teil des immunologischen Gedächtnisses über Jahre löschen. Damit werden Betroffene auch über die Maserinfektionszeit hinaus empfänglicher für Infektionen mit anderen Erregern. Über die Forschungsergebnisse berichtet Science Immunology in seiner Online-Ausgabe vom 01.November 2019.
Masern sollten längst ausgerottet sein – stattdessen nehmen sie wieder zu. In den ersten sechs Monaten 2019 wurden weltweit fast dreimal mehr Fälle gemeldet als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC) spricht von einem Wiederaufleben der Masern in der Europäischen Union bzw. im Europäischen Wirtschaftsraum (EEA). Verantwortlich hierfür sind vor allem fünf Länder, darunter Deutschland, in denen Übertragungen noch endemisch – also innerhalb der Bevölkerung – stattfinden.
Schon lange ist bekannt, dass die Maserninfektion nicht nur selbst durchaus schwer und sogar tödlich verlaufen kann, sondern dass zusätzlich das Masernvirus das Immunsystem des Erkrankten gegenüber anderen Krankheitserregern schwächt. So kommt es bei einer Maserninfektion häufiger auch zu weiteren Infektionen wie beispielsweise bakteriell bedingten Lungen- oder Mittelohrentzündungen.
In einer kürzlich im Vereinigten Königreich (UK) durchgeführten Masern-Kohortenstudie wurde nachgewiesen, dass zehn bis 15 Prozent der Kinder noch fünf Jahre nach einer Maserninfektion Anzeichen einer deutlichen Beeinträchtigung des Immunsystems hatten, was zu einem erhöhten Auftreten sekundärer Infektionen führte.
Wissenschaftler um Prof. Veronika von Messling, bis September 2018 Leiterin der Abteilung Veterinärmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, haben innerhalb des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) und mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Forschern aus Großbritannien und den Niederlanden untersucht, welche Mechanismen zu dieser Immunsuppression führen. Hierzu analysierten sie die Rezeptorvielfalt der Immunzellen und die Entwicklung einer wichtigen Gruppe von Immunzellen für das Immungedächtnis, den B-Gedächtniszellen, bei ungeimpften Personen mit und ohne vorangegangene Maserninfektion sowie bei gegen Masern geimpften Personen. Während die genetische Zusammensetzung und Vielfalt der B-Gedächtniszellen bei Personen ohne Maserninfektion und bei geimpften Personen stabil war, fand sich bei Personen nach Maserninfektionen eine signifikante Zunahme der Mutationsfrequenz in diesen Zellen sowie ein verändertes Isotypen(Variations)-Profil. Bei etwa zehn Prozent der mit Masern infizierten Personen in der Untersuchung war die Vielfalt der Immunzellen sogar sehr stark beeinträchtigt. Zudem fand sich eine Verschiebung hin zu immunologisch unreifen B-Zellen, was auf eine beeinträchtigte B-Zellreifung im Knochenmark hinweist.
Die Ergebnisse bestätigen, dass das Immunsystem nach einer Maserninfektion quasi vergisst, mit welchen Erregern es zuvor in Kontakt gekommen war. Es kommt zu einer "Immunamnesie". Forscher im PEI bestätigten diese Befunde im Tiermodell (Frettchen). Die Tiere wurden zunächst gegen Influenza (Grippe) immunisiert und einige Tiere mit einem mutierten Hundestaupevirus (canine distemper virus, CDV) infiziert, das mit dem Masernvirus verwandt ist. Als die Tiere zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Influenzavirus infiziert wurden, verloren die mit CDV infizierten Tiere die meisten Antikörper gegen Influenza und hatten einen schwereren Krankheitsverlauf als nicht zuvor mit CDV infizierte Tiere.
„Die Masernimpfung ist nicht nur für den Schutz vor Masernviren wichtig, sondern schützt auch vor dem Auftreten oder schweren Verläufen anderer Infektionskrankheiten. Es schützt das Immungedächtnis, das bei Maserninfektionen schwer beeinträchtigt werden kann“, betont Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.