Lernen aus der COVID-Pandemie: Über die Wirksamkeit von nicht-pharmazeutischen Interventionen zur Bekämpfung von Krankheitserregern

Die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus konnte durch eine engmaschige Überwachung genau beobachtet werden. Die daraus resultierenden Daten bieten die Grundlage für weiterführende Forschungen.

© Martin Sanchez/Unsplash

In den Jahren der COVID-19-Pandemie wurde die Wirksamkeit der staatlich angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, wie regelmäßige Tests und das Tragen medizinischer Atemschutzmasken, immer wieder angezweifelt. Eine Arbeitsgruppe um DZIF-Forscherin Prof. Alice McHardy am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) hat nun durch eine groß angelegte Analyse von Virusgenomdaten herausgefunden, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Einführung bestimmter Maßnahmen wie dem Tragen von medizinischen Masken und dem freien Zugang zu Antigen-Schnelltests deutlich weniger neue Varianten des SARS-CoV-2 Coronavirus nach Deutschland gelangten.

Das neuartige SARS-CoV-2-genannte Coronavirus trat erstmals Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan auf und verbreitete sich rasch weltweit. Der erste Fall in Deutschland wurde im Januar 2020 nachgewiesen. Anfang 2020 wurde SARS-CoV-2 als Auslöser der Infektionskrankheit COVID-19 identifiziert und ab Frühjahr 2020 von der Weltgesundheitsorganisation als Pandemie eingestuft.

In der Frühphase der Pandemie, als weder Impfstoffe noch gezielt wirkende Arzneimittel gegen die Infektion und Erkrankung zur Verfügung standen, wurden sogenannte nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) eingesetzt, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen. Dazu gehörten die Reduzierung von Kontakten mit Personen außerhalb des eigenen Haushalts, das Tragen von medizinischen Atemschutzmasken und, sobald verfügbar, die breite Verwendung von Antigen-Schnelltests. Im Verlauf der Pandemie wurde die Wirksamkeit einiger dieser Maßnahmen zunehmend in Frage gestellt.

Erfolgsanalyse von COVID-19-Maßnahmen in Deutschland

Die Wissenschaftler:innen Sama Goliaei und Mohammad-Hadi Foroughmand-Araabi aus der Forschungsgruppe von Prof. Alice McHardy vom HZI haben zusammen mit der Gruppe von Prof. Denise Kühnert vom Robert Koch-Institut (RKI) und dem Max-Planck Institut für Geoanthropologie den Erfolg der in Deutschland eingesetzten Interventionen untersucht. Dazu analysierten die Wissenschaftler:innen fast zwei Millionen SARS-CoV-2-Genome, die über die Jahre der Pandemie in der Bevölkerung Deutschlands aufgetreten sind und in einer Datenbank gesammelt wurden. Das Auftreten neuer Virusvarianten in Deutschland im Verlauf der Pandemie – als Maßstab für den Eintrag neuer Varianten aus anderen Teilen der Welt – verglichen sie dann mit der zeitlichen Einführung bestimmter Maßnahmen.

Die Ergebnisse zeigen, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten bestimmter Maßnahmen deutlich weniger neue Virusvarianten nach Deutschland gelangten. Die stärksten Rückgänge verzeichneten die Forschenden nach der Einführung von kostenlosen Antigen-Schnelltests, der Verschärfung der Vorschriften zum Tragen von medizinischen Masken im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel sowie des persönlichen Bewegungsradius und Zusammenkünften.

Nutzung von Genomsequenzen zur Verfolgung von SARS-CoV-2-Varianten

Während der Corona-Pandemie überwachten viele Länder Veränderungen in den Genomen der vorherrschenden SARS-CoV-2 Varianten, um die Ausbreitung sowie das Auftreten neuer Varianten zu verfolgen. Erstautorin Sama Goliaei erläutert: „Aus dieser Überwachung resultierte eine noch nie dagewesene Menge an Genomsequenzen, anhand derer die räumliche Ausbreitung und die Entwicklung der Virusstämme rekonstruiert werden konnte. Wir haben aus diesem Pool 1,8 Millionen SARS-CoV-2-Genomdaten verwendet, die zwischen dem Ende des Jahres 2020 und Anfang 2021 – also im Verlauf der dritten Pandemiewelle in Deutschland – gesammelt wurden.”

Um herauszufinden, wie die Einführung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die Ausbreitung von SARS-CoV-2-Virusvarianten beeinflusste, nutzen die Forschenden einen neuen Ansatz, der als „phylogeographische Bayes-Analyse“ bezeichnet wird.

Die Bayes'sche Phylogeographie ist ein Forschungsgebiet innerhalb der Evolutionsbiologie und Biogeographie, das spezielle statistische Methoden verwendet, um räumliche und zeitliche Muster der Bewegung und Entwicklung von Arten zu identifizieren. Bei diesem Ansatz werden Informationen aus genetischen Daten wie DNA-Sequenzen mit geographischen Daten kombiniert, um die Ausbreitung und Divergenz von Populationen zu rekonstruieren.

Einfluss von nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPI) auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 in Deutschland

Anhand von drei Stichprobenstrategien ermittelten die Forschenden aus dem oben genannten Datensatz die nach Deutschland eingeschleppten SARS-CoV-2-Linien und den jeweiligen Zeitpunkt der Einschleppung. Um den Einfluss der Interventionen auf Einschleppung und Verbreitung dieser Linien herauszufinden, fasste die Gruppe Informationen aus veröffentlichten Quellen zu über 4.000 in Deutschland umgesetzten Interventionen zusammen und klassifizierte diese dann in insgesamt zwölf übergeordnete NPI.

Die Einführungs- und Anwendungszeiträume dieser kategorisierten und klassifizierten NPI wurden dann mit dem geographischen und zeitlichen Vorkommen der Viruslinien in Relation gesetzt, um den Einfluss der Interventionen auf die Einschleppung des Virus und dessen Verteilung innerhalb von Deutschland zu bestimmen.

„Besonders nach der Bereitstellung kostenloser Antigen-Schnelltests und dem Verschärfen der Vorschriften zum Tragen von medizinischen Atemschutzmasken erfolgte ein starker Rückgang bei der Einschleppung neuer SARS-CoV-2-Varianten nach Deutschland“, erklärt Mohammad-Hadi Foroughmand-Araabi. Diese Maßnahmen schränken den Alltag nicht so stark ein wie beispielsweise Kontaktverbote und könnten daher bei zukünftigen Pandemien schnell und umfassend ergriffen werden, um der Virusausbreitung zu begegnen.

„Die Ergebnisse der Analysen haben nicht nur Erkenntnisse zum Virusverhalten während einer Pandemie gebracht“, resümiert Gruppenleiterin Prof. Alice McHardy. „Ganz wesentlich ist auch, dass die in der Studie angewandte Methodik dazu beitragen kann, bei möglichen zukünftigen Pandemien schon in der Frühphase Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und Verbreitung des Erregers auszumachen. Auf diese Weise könnten schneller Hinweise auf die Effektivität von bestimmten NPI erhalten werden.“

Pressekontakt: Stephanie Aue (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit DZIF-Infrastruktur Bioressourcen, Biodaten und digitale Gesundheit)

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