Wirkstoff-Design: Wenn Zuckermoleküle angriffslustig werden

Dr. Alexander Titz entwickelt Substanzen, die den bakteriellen Schutzwall angreifen können.

Alexander Titz

Biofilme von Bakterien zu knacken und die Krankheitserreger damit aus der Reserve zu locken – eines der Ziele, die der Chemiker Dr. Alexander Titz verfolgt. Der Nachwuchsgruppenleiter am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung in Saarbrücken (HIPS) entwickelt Substanzen, die den bakteriellen Schutzwall angreifen können. Zu den aussichtsreichen Kandidaten gehören seine chemisch modifizierten Zuckermoleküle. Wir wollten mehr wissen und haben den DZIF-Forscher im neu erbauten HIPS besucht.

„Wirkstoff-Design und Optimierung“ steht auf dem Türschild; dahinter steckt eine Forschung, die sich zwischen den Disziplinen bewegt. Die Themen der Forschungsprojekte von Titz machen das deutlich: „Chemische Biologie der Kohlenhydrate“ lautet eines, ein anderes „Medizinische Chemie von Naturprodukten“. Ein Grenzgänger? „Ich bin Chemiker“, erklärt der Wissenschaftler, und räumt nach kurzer Pause ein: „mittlerweile vielleicht biologisch angehaucht“.

Sein Chemiestudium an der TU Darmstadt konnte Alexander Titz 2004 mit einem Einser-Diplom abschließen. Da hatte er bereits einen ersten Schritt in Richtung Medizin getan, indem er seine Diplomarbeit bei der Novartis Pharma AG in der Schweiz anfertigte. Für die Promotion ging er zurück an die Universität, blieb aber in der Schweiz; in Basel fand er eine für ihn interessante Stelle am Institut für Molekulare Pharmakologie und arbeitete dort an Interaktionen von Proteinen und Kohlenhydraten, sprich Zuckern.

„Seitdem bewege ich mich in der Zucker-Community“, berichtet Titz und scheint es selbst erstaunlich zu finden, welche Zufälle manchmal die Wege bestimmen. Denn die Zuckermoleküle sind es, die auch heute noch im Mittelpunkt seiner Forschungen stehen, und die Schweiz blieb für längere Zeit seine Heimat. „Neun Jahre habe ich dort gelebt“, erzählt er. Bergsteigen war nur eine der vielen sportlichen Aktivitäten, die der Doktorand genossen hat. Nach seiner ausgezeichneten Promotion wechselte er 2008 an die ETH nach Zürich und forschte dort im Bereich der Molekular- und Mikrobiologie. Für seine Arbeiten über Protein-Kohlenhydrat-Wechselwirkungen erhielt er den Klaus-Grohe-Preis für Medizinische Chemie.       

2009 wird Alexander Titz durch einen schweren Unfall aus der Bahn geworfen und ist seither an den Rollstuhl gebunden. Ein tragischer Einschnitt, der dem jungen Wissenschaftler viel Kraft und einen starken Willen abverlangt, um seinen Weg fortzusetzen. Doch schon nach einem halben Jahr Rehaklinik nimmt er seine Forscherkarriere wieder auf; kaum sichtbar ist das Unglück in seinem Lebenslauf. 2010 wechselt der Wissenschaftler an das Zukunftskolleg der Universität Konstanz, wo er seine bisherigen Forschungen in der Mikrobiologie und zu medizinischen Fragestellungen in einem Projekt zusammenführen kann. „Ich hatte Glück im Unglück, denn ich kann als Wissenschaftler nach wie vor gute Arbeit leisten.“ Und das ist untertrieben: Mit einem Team von derzeit sechs Leuten präsentiert Alexander Titz vielversprechende Lösungsansätze für den Kampf gegen Bakterien. 

Im Fokus seiner Arbeiten steht der Biofilm, eine Art Schleimschicht, die den Bakterien als physikalischer Schutz gegenüber dem Immunsystem und gegenüber Antibiotika dient. Bakterielle Biofilme entstehen, indem sich die Keime an Oberflächen wie Wirtszellen, Katheter oder auch Implantate anheften. Dabei haben die Bakterien ein gut funktionierendes Kommunikationssystem entwickelt: Sie senden Signalmoleküle aus und sobald mehrere Artgenossen in der Nähe sind, steigt deren Konzentration so an, dass der Befehl „Biofilm bilden!“ ausgegeben wird. Dabei bilden die Bakterien eine klebrige Schicht, in der sie sich hervorragend „verstecken“ können. So beispielsweise Pseudomonas aeruginosa, ein stäbchenförmiger Keim, der heute bereits gegen viele Antibiotika resistent geworden ist und große Probleme in Krankenhäusern bereitet.

Teamwork (from left to right): Dr. Matthew Calvert, Dr. Stefanie Wagner, Ghamdan Beshr, Roman Sommer, Ines Joachim, Dirk Hauck, Dr. Alexander Titz

Die Strategie des Teams um Alexander Titz besteht darin, diesen Biofilm anzugreifen und nach Möglichkeit zu zerstören. Ein Angriffsziel sind die von den Bakterien gebildeten Lektine, die als Klebstoff im Biofilm fungieren. Sie binden an mehreren Stellen Zuckermoleküle wie Mannose oder Galaktose und verknüpfen diese dann sowohl mit den Bakterien als auch mit den Wirtszellen. Diese Zuckermoleküle wollen sich die Forscher nun zunutze machen und sie chemisch so manipulieren, dass sie zu Lektin-Inhibitoren werden. „Dafür modifizieren wir die Zuckermoleküle derart, dass sie mit einer hohen Spezifität an die Lektine binden und die unmodifizierten Zuckermoleküle verdrängen“, erklärt Titz. Das klebrige Gebilde sollte auseinanderfallen und die Bakterien damit für Medikamente angreifbar machen. Außerdem bestehe die Chance, dass diese Moleküle keine Resistenzen hervorrufen. Denn die Bakterien werden nicht getötet und einem Selektionsdruck ausgesetzt, wie das bei Antibiotika-Gabe der Fall ist.

Zwei Patente konnte der junge Forscher bereits für Lektin-Inhibitoren anmelden, eine kleine Firma ist an einer gemeinsamen Weiterentwicklung interessiert. Auch im Rahmen der DZIF-Arbeitsgruppe werden Lektin-Inhibitoren gesucht. Hier konzentriert sich Titz allerdings auf Naturstoffe und ihre Modifikation. Mit der Natürlichen Wirkstoffbibliothek im DZIF steht eine große Zahl an möglichen Inhibitoren zur Verfügung. Und Titz weiß das deutschlandweite Netzwerk zu schätzen: „Es ist gut, dass das DZIF dabei hilft, die Lücke zwischen den zwei Elfenbeintürmen Industrie und Forschung zu überbrücken.“  

Biofilme aufzulösen, ist eine Sache. Parallel dazu arbeitet Alexander Titz mit seinem Team auch daran, neue Antibiotika zu entwickeln, und zwar nach Möglichkeit solche, die nicht sofort wieder Resistenzen auslösen. Der Naturstoff Argyrin scheint ein solcher Kandidat zu sein, doch bisher ist er vor allem giftig. „Bei den Zuckern geht es darum, sie quasi „angriffslustiger“ beziehungsweise „bindefreudiger“ zu machen. Bei Argyrin ist das Gegenteil der Fall“, erläutert Titz. Hier müsse man dafür sorgen, dass die antibiotische Wirkung nicht alles angreift. Aber auch da, so der Chemiker, würden sich Wege der Manipulation finden lassen.

Der Neubau des HIPS bietet beste Voraussetzungen für seine Forschung. Die gesamte zweite Etage steht für „Wirkstoffdesign und Optimierung“ zur Verfügung: Von der Synthese über die Analytik bis hin zur Messung der Bioaktivität. Sogar ein Bio-S2-Labor für Untersuchungen an gefährlichen Keimen ist vorhanden. Beste Voraussetzungen also für die Optimierung von angriffslustigen Zuckern und anderen neuartigen Wirkstoffen.