AAGGCTC: Was Gene verraten können

Der Populationsgenetiker Ulrich Nübel spürt das Potenzial an neuen Wirkstoffen auf, das in einem Bakterienstamm schlummert.

Phantastische Sequenziermethode für Populationsgenetiker: Ulrich Nübel und PacBio RSII

© DZIF

Für den Populationsgenetiker Ulrich Nübel dreht sich fast alles um Gensequenzen bei Bakterienstämmen. Aus ihrer Analyse kann der Wissenschaftler viel ablesen: die Verläufe von Infektionsausbrüchen und Epidemien ebenso wie die Ausbreitung von Resistenzen. Aufspüren kann er aber auch das Potenzial an neuen Wirkstoffen, das in einem Stamm schlummert. Diese Expertise bringt Prof. Dr. Ulrich Nübel seit 1. Juni 2014 mit einer W2-Professur in das DZIF ein. Die Professur „Mikrobielle Genomforschung“ wurde zusammen mit der TU Braunschweig  eingerichtet und ist an der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen (DSMZ), ebenfalls in Braunschweig, angesiedelt.

„Hier im Keller der DSMZ steht das wohl coolste Sequenziergerät, das es momentan gibt“, erklärt Nübel. Der ansonsten eher zurückhaltende Wissenschaftler gerät ins Schwärmen, wenn er über den „PacBio RSII“ spricht, ein von außen eher unscheinbarer Kasten, allerdings mit bewegtem Innenleben. Next Generation Sequencing heißt das im Verborgenen ablaufende Verfahren, das es möglich macht, ganze Genome über Nacht zu entschlüsseln, das heißt die Reihenfolge ihrer Bausteine, sprich Nukleotide, zu bestimmen. In der Reihenfolge der Basenpaare Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin, abgekürzt A, G, T und C liegt der genetische Code vor. „Für Populationsgenetiker ist diese neue Sequenzierungsmethode phantastisch“, erklärt Nübel. Ihn interessiert vor allem die Diversität von Organismen, insbesondere die von Bakterien, und sie lässt sich mit dem nötigen Know- how in der Bioinformatik an den Gensequenzen ablesen. „Mit großer Regelmäßigkeit entstehen Punktmutationen im Genom von Bakterien“, erklärt der Forscher. Wenn man diese Mutationen bei verschiedenen Stämmen durch Sequenzierung sichtbar macht, lassen sich ganze Stammbäume und Daten zur Ausbreitung rekonstruieren.

Diversität von Bakterien

Als Nübel sein Studium der Biotechnologie in Braunschweig 1989 aufnahm, steckten die Sequenzierungsmethoden noch in den Kinderschuhen. Dennoch wagte er sich daran, die Gene von Bakterien zu untersuchen. In seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen untersuchte er die Diversität von Cyanobakterien, bei einem anschließenden Forschungsaufenthalt in Montana beschäftigten ihn phototrophe Bakterien und Archaebakterien in Thermalquellen und an hypersalinen Standorten. Zurück in Deutschland leitete Nübel für zwei Jahre eine Nachwuchsgruppe an der DSMZ in Braunschweig, die die Populationsgenetik und Biogeographie mariner Bakterien zum Thema hatte.

Genom-weite Sequenzierungen

Dabei wurde ihm schnell klar: Für eine erfolgreiche Populationsgenetik benötigte er geeignete Stammsammlungen, und die gab es damals nur in der Medizin. Am Robert-Koch-Institut in Berlin und Wernigerode stand eine Sammlung für Staphylococcus aureus zur Verfügung, das Bakterium, das heute als multiresistenter Krankenhauskeim gefürchtet ist. Resistent gegen Methicillin (MRSA) und gegen viele weitere Antibiotika, ist er für kranke und immungeschwächte Menschen gefährlich geworden. Ulrich Nübel ließ Genom-weite Sequenzierungen verschiedener Stämme am Sanger-Institut im britischen Cambridge durchführen. Die Analysen zeigten unter anderem, dass die multiresistenten Bakterien in England entstanden waren und zwar in der Klinik, in der das Antibiotikum erstmals getestet wurde. Von dort haben sie sich weltweit ausgebreitet.

In einem großen EU-Projekt wird Nübel diese spannenden Untersuchungen gemeinsam mit internationalen Partnern weiter betreiben. Entstehen soll eine Plattform, auf der für verschiedenste Krankheitserreger Verbreitungswege und Stammbäume verzeichnet sind. „Eine Art epidemiologischer Wetterkarte, die natürlich auch helfen könnte, Ausbrüche im Vorfeld zu erkennen“, erklärt Nübel.

Suche nach neuen Wirkstoffen

Im Rahmen des DZIF beschäftigen ihn Bakterien ebenfalls, allerdings eher von ihrer positiven Seite, nämlich nicht als Krankheitserreger, sondern als Wirkstoffproduzenten. Ein Großteil der bisher gefundenen Antibiotika stammt aus Actinomyceten. Nübel ist sicher, dass seine Genomanalysen an anderen und bisher unbekannten Stämmen viele neue Substanzen sichtbar machen können. Die außergewöhnliche Sammlung an Mikroorganismen in der DSMZ und die vorhandene Bioinformatik-Gruppe sowie die „Natürliche Wirkstoffbibliothek“, eine Wirkstoffsammlung im DZIF, waren Gründe für seinen Wechsel. Und dann kommt er doch noch einmal auf den „PacBio“ zu sprechen und erklärt, warum das hochmoderne Sequenzierverfahren gerade für diese Zwecke so hilfreich ist. Bei der Sequenzierung des Genoms entstehen zunächst wie beim klassischen Verfahren DNA-Schnipsel, die nach Sequenzierung wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müssen. Je größer diese Schnipsel sind, desto einfacher lassen sie sich anschließend kombinieren. Während man in den frühen Verfahren „Reads“ von etwa 100 Basenpaaren hatte, sind es heute durchschnittlich Reads mit einer Länge von 10.000 Basenpaaren. Für ganz unbekannte Genome ein großer Vorteil.

Gemeinsam mit DZIF-Kollegen im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung hat Ulrich Nübel die ersten sechs Genome von Myxobakterien sequenziert. „Wir sind zuversichtlich, dass wir interessante Substanzen finden werden. Und im Verbund des DZIF haben wir die Möglichkeiten, Kandidaten für Wirkstoffe erfolgreich zu screenen und weiterzuentwickeln“, so Nübel. An seinem neuen Arbeitsplatz in der DSMZ ist der Wissenschaftler schnell heimisch geworden, was nicht zuletzt daran liegt, dass er vor Jahren schon einmal dort gearbeitet hat. Und Braunschweig ist ohnehin ein Heimspiel für den Vater von zwei Kindern. Denn seit zehn Jahren lebt er hier schon mit seiner Familie und musste fast täglich in Stöckheim an der DSMZ vorbeifahren, auf dem Weg zum Robert-Koch-Institut in Wernigerode. Nun spart er Benzin und Zeit, und die kommt auch dem DZIF zugute.

Das könnte Sie auch interessieren