Der Arzt und Datenjongleur im DZIF

Jörg Janne Vehreschild verbindet sein erstes Hobby als Programmierer mit seiner zweiten Leidenschaft, der Medizin. Er ist heute Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin in Köln und mit einer DZIF-Professur für die Kohorten in der HIV-Forschung zuständig.

© MedizinFotoKöln/Dorothea Hensen

Seine berufliche Karriere startete Jörg Janne Vehreschild als Programmierer, doch schon nach einem Jahr entschied er sich für seine zweite Leidenschaft und nahm das Medizinstudium auf. Heute, mit nur 39 Jahren, ist Vehreschild Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin in Köln und seit einigen Monaten mit einer DZIF-Professur für die Kohorten in der HIV-Forschung zuständig.  Bei alledem spielt auch wieder sein erstes Hobby, die Informatik, eine wichtige Rolle.

„Ich konnte schon meine erste Zeile in Programmiersprache eingeben, bevor ich einen deutschen Satz schreiben konnte“, erinnert sich Jörg Janne Vehreschild schmunzelnd. Und da war er fünf Jahre alt. Alles was mit Zahlen zu tun hatte, fiel ihm leicht in der Schule und schon vor dem Abitur, das er 1997 in Siegburg bei Bonn ablegte, verdiente er sich nebenher ein schönes Sümmchen mit dem Programmieren.

Sein Weg schien also vorgegeben, die Begabung lag klar auf der Hand. Doch es kam anders als gedacht. Eine längere Krankheit als Kind hatte Jörg Janne ungewollt mit dem Medizinbetrieb bekannt gemacht und den Arztberuf in ausgesprochen positivem Licht gezeigt. So entschied er sich nach dem Abitur zunächst für den Zivildienst auf einer Kinderkrebsstation, wo er sich hervorragend mit den kleinen Patienten verstand. Besser als mit deren Eltern, erinnert er sich, die seien doch sehr „überprotektiv“ gewesen. Was er heute besser versteht, da er selbst zwei kleine Kinder zu Hause hat.

Medizinstudent mit Nebenverdienst

Ein Jahr später war klar: Arzt wollte er werden, allen mathematischen Begabungen und seiner schulischen Unlust zur Biologie zum Trotz. Von 1999 bis 2005 studierte Vehreschild Medizin in Bonn. Parallel dazu arbeitete er freiberuflich als Datenbank- und Software-Entwickler. Vier Monate Praktikum in Südafrika führten ihn zur Infektiologie, seinen Facharzt erhielt er für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie, Zusatzbezeichnung Infektiologie.

Als Arzt vermied er es anfangs bewusst, seine Programmierkenntnisse preiszugeben. „Der technische Stand in der Medizininformatik war weit zurück und ich hatte Sorge, dass ich immer gerufen werde, wenn es Datenchaos gibt“, erzählt Vehreschild. Doch ob es an seinem Pferdeschwanz lag, der auch bei vielen Computerfreaks in Mode ist, oder einfach an seiner freundlichen und zugewandten Art: Irgendwie landeten die Daten dann doch am Ende alle auf seinem Tisch. Und rückten im Laufe seiner medizinischen Karriere immer mehr in den Mittelpunkt. Denn wenn es um HIV-Patienten-Studien geht oder um den rationalen Einsatz von Antibiotika – ohne sorgfältig gesammelte und dokumentierte Daten und Bioproben, auf die man zurückgreifen kann, ist die translationale Forschung aufgeschmissen.

Antibiotic Stewardship als „wichtigste Option in der Infektionsforschung“

Schon in der Anfangszeit als Arzt engagierte Vehreschild sich für den sinnvollen Einsatz von Antibiotika im Klinikalltag. Lange bevor das Stichwort „Multiresistenz“ die Medien beherrschte, gründete er zusammen mit Kollegen das Antibiotic Stewardship-Programm der Uniklinik Köln, das er immer noch wissenschaftlich leitet. „Ich halte diesen Ansatz, Antibiotika sinnvoll und kontrolliert einzusetzen, derzeit für eine der wichtigsten Optionen in der Infektionsforschung.“ Als Oberarzt in der Infektiologie betreut Vehreschild den Konsiliardienst und wird immer dann gerufen, wenn schwierige Infektionen auftreten. So weiß er aus Erfahrung, wie wichtig der sinnvolle Einsatz von Antibiotika im Klinikalltag ist. Und dieser ist nur möglich, wenn akribisch Daten zum Antibiotika-Einsatz und -Verbrauch erhoben werden.

Im Rahmen seiner DZIF-Professur stehen Kohorten in der HIV-Forschung im Mittelpunkt. Als Leiter einer Nachwuchsgruppe übernahm Vehreschild bereits 2013 die nicht ganz leichte Aufgabe, epidemiologische Daten in der HIV-Forschung – klinische Proben ebenso wie Patientendaten – zu vereinheitlichen und für eine breite Nutzung vorzubereiten. „Die Heterogenität in der HIV-Datensammlung war geradezu unheimlich“, erzählt Vehreschild. „Als in den Neunzigerjahren das Thema HIV und Aids populär und mit reichlich Forschungsgeldern unterstützt wurde, hatte jede Klinik schnell ihre eigenen Datensätze angelegt.“

Das Team (v.l.n.r.): Jörg Janne Vehreschild, Bernd Franke, Annika Löhnet, Shanthiya Sathiyanantharajah, Nick Schulze, Carolin Jakob, Sebastian Heimann, Justine Uhe, Melanie Stecher, Angelina Lagodny.

© MedizinFotoKöln/Dorothea Hensen

Datenaustausch mit HENRY und HIOBS

Der Vorschlag, diese zugunsten einer einheitlichen zentralisierten Nutzung preiszugeben, stieß auf wenig Gegenliebe. Vehreschild packte das Problem pragmatisch an und entschied sich für ein dezentrales System. Im Rahmen seiner Nachwuchsgruppe entstand auf diese Weise die HIV-Plattform: eine einzigartige Sammlung gut charakterisierter klinischer Proben, die über ein zentrales Register angefragt werden können. „Außerdem konnten wir mit dem Robert Koch-Institut, das eine nationale HIV-Kohorte hat, einen einfachen Austausch von Daten und gemeinsame Schnittstellen erarbeiten.“ Und an diesem Punkt erzählt er enthusiastisch über die entwickelte Software namens HENRY und selbst als Laie beginnt man zu verstehen, dass Programmieren wohl auch Spaß machen kann.

Die aufgebaute Plattform zur Erforschung der HIV-Infektion ist jetzt für die translationale Forschung bereit. 20 Universitätskliniken und HIV-Schwerpunktpraxen sind mittlerweile an dem Netzwerk beteiligt, das kontinuierlich wächst. Mit allen Beteiligten wurde eine Einwilligungserklärung für Patienten entwickelt, die als Standard verwendet wird. „Das ist wirklich innovativ, denn es erleichtert den Austausch von Proben und damit die zukünftige Forschung, auch international“, erklärt Vehreschild. Etwa 20 Projekte laufen bereits im Rahmen der HIV-Plattform.

HIV kurz nach der Infektion stoppen?

Als eines der wichtigsten, als „Showcase“, bezeichnet Vehreschild das gemeinsam mit Kollegen der Medizinischen Hochschule Hannover betriebene Projekt zur „Behandlung von primären HIV-Infektionen.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass kurz nach einer HIV-Infektion die Chancen am größten sind, das Virus weitgehend zu entfernen und seine Reservoirbildung rechtzeitig zu unterbinden. Denn darin besteht das größte Problem bei der Bekämpfung von HIV: Die Viren verstecken sich in den Immunzellen der Betroffenen und können dort durch die Medikamente nicht angegriffen werden. Kurz nach einer Infektion sollte dieser Prozess noch nicht weit fortgeschritten sein. Die Translationale HIV-Plattform macht es nun möglich, diese Fragestellung mit einer Kohorte von primären HIV-Patienten zu untersuchen. „Das läuft sehr gut“, freut sich Vehreschild. „Wir schaffen es problemlos, die gewünschte Patientenzahl zu rekrutieren.“

Oberarzt, Wissenschaftler und Leiter verschiedenster Arbeitskreise – was bleibt an Zeit für Familie, Hobbys und Reisen? Die Frage überrascht ihn fast, denn offensichtlich ist das für ihn gar kein Thema. Vielleicht liegt es daran, dass er mit einer ebenso engagierten Wissenschaftlerin und Ärztin liiert ist und Beruf und Familie ineinandergreifen. Maria Vehreschild ist ebenfalls Ärztin an der Uniklinik Köln und engagiert sich im DZIF im Forschungsbereich für Krankenhauskeime und Antibiotika-resistente Bakterien. Dennoch stehe keineswegs immer die Arbeit im Vordergrund. „Mit Freunden haben wir vor ein paar Jahren einen Restbauernhof im Westerwald gekauft und da sind wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit und bauen, sägen und werkeln.“  Freilich habe er das Notebook meist dabei, denn einen kniffeligen Programmierschritt zu bewältigen, mache ihm einfach immer großen Spaß.

Dieses dürfte in Zukunft auch im DZIF nicht zu kurz kommen. Jörg Janne Vehreschild schätzt die Möglichkeiten, die das Zentrum und die Professur ihm bieten. „Durch das DZIF habe ich die Chance erhalten, ein Netzwerk zu finden und mit Wissenschaftlern und Ärzten aus ganz Deutschland zu kommunizieren. Wenn es nach ihm ginge, sollten vor allem die jüngeren Leute stärker auch in koordinierende Funktionen eingebunden werden. Die Vehreschilds gehen mit gutem Beispiel voran.

Das könnte Sie auch interessieren