Der Helfer mit Weitblick

Am Forschungszentrum Borstel ist Christoph Lange jüngst zum Medizinischen Direktor ernannt worden. Von hier aus trägt er maßgeblich zur klinischen Tuberkulose-Forschung in Europa bei.

Prof. Christoph Lange

© FZ Borstel

Am Forschungszentrum Borstel ist Christoph Lange jüngst zum Medizinischen Direktor ernannt worden. Von hier aus trägt er maßgeblich zur klinischen Tuberkulose-Forschung in Europa bei und beobachtet die Entwicklung und die Behandlung der multiresistenten Fälle. Als Professor für „International Health/Infectious Diseases“ an der Universität Lübeck und als Leiter der klinischen Tuberkulose-Einheit im DZIF engagiert er sich für eine personalisierte Behandlung weltweit.

Ein Besuch des Forschungszentrums Borstel führt einen in ein kleines Dorf mitten in Schleswig-Holstein. Borstel hat außer idyllischer Landschaft nicht viel zu bieten, wäre da nicht das renommierte Leibniz Lungenzentrum. Und immerhin sind Hamburg und Lübeck nicht weit entfernt, auch Kiel ist in einer Stunde erreichbar. Das spielte eine Rolle, als Christoph Lange, 2001 – nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt in Ohio, USA – eine Stelle als Assistenzarzt, kurz darauf dann als Funktionsoberarzt für Infektiologie in Borstel antrat. „Von einem großen Universitätskrankenhaus in den USA an die kleine Medizinische Klinik in Borstel zu wechseln, war schon ein Risiko “, gibt er unumwunden zu. Doch die Chance, unter anderem in einer HIV-Ambulanz mitzuwirken, war verlockend. Und von Westensee (bei Kiel), wo er zu der Zeit mit Frau und Kind wohnte, konnte er gut pendeln.

Seinen damaligen Entschluss hat Christoph Lange nicht bereut. Borstel ist heute zwar immer noch ländlich, aber in Zusammenhang mit der Tuberkulose-Forschung ist das dortige Forschungszentrum international bekannt, was nicht zuletzt an Langes Engagement liegen dürfte. Bereits 2006 setzte er eine Idee in die Tat um, die ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte. Er wollte ein Netzwerk aus Ärzten und Forschern in Europa aufbauen, das klinische Studien organisieren kann. Ähnlich wie der Verbund Eurosida, der bereits für HIV existierte. Kurzerhand lud Lange 44 Forscher aus 14 Ländern nach Borstel ein. Innerhalb von zwei Tagen gründeten die Geladenen TBNET: die Tuberculosis Network European Trialsgroup, die größte multinationale Forschungsorganisation auf dem Gebiet der Tuberkulose in Europa.

Von der Botanik zur Medizin

Sein Interesse an Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten wurde bereits im Studium geweckt. Bei Famulaturen in Südafrika hatte Christoph Lange viel mit Tuberkulose-kranken Kindern zu tun. „Die Arbeit hat mich damals begeistert“, erinnert er sich heute. Doch bevor er Medizin in Witten-Herdecke studierte, absolvierte er ein Biologiestudium in Kiel und Freiburg. Botanik im Hauptfach, Mikrobiologie im Nebenfach. Er habe das Studium sehr genossen und sei für seine Diplomarbeit ein Jahr lang glücklich durch die Salzwiesen gepirscht, um die dortigen Pflanzen zu untersuchen. Letztendlich fehlte ihm dann aber doch die menschliche Seite und so startete er nach dem Biologieabschluss 1988 sein Medizinstudium, das er 1994 gleichzeitig mit einer Promotion über Antibiotika in Flechten abschließen konnte.

Nach intensiven Lehrjahren in der Inneren Medizin, sowohl in Kapstadt, Südafrika, als auch in Schleswig-Holstein, zog es Lange und seine Frau, ebenfalls Ärztin, in die Ferne. In Ohio sollte ein Fellowship ihn endlich in die Infektiologie bringen. „Doch dort war vor allem praktische Arbeit gefordert, von 8 Uhr morgens bis 23 Uhr abends war der Arzt gefragt. An Forschung war nicht zu denken.“ Mit 38 Jahren habe er noch keine einzige Publikation gehabt. Es war wieder einmal Glück, wie Lange meint, dass er am Thanksgiving Day von einem Oberarzt zum traditionellen Truthahnessen eingeladen wurde, der ihn dann als Fellow für seine klinische HIV-Forschung gewinnen wollte. „Professor Michael Lederman hat mich als Person fasziniert, daher habe ich das Angebot angenommen“, erzählt er. Glück mag im Spiel gewesen sein – immer scheint ihn aber auch seine Beharrlichkeit und sein Gespür für ein gutes Team voranzubringen.  

Seine Intuition war richtig. „Innerhalb von einem Jahr hatte ich alles zusammen, was man für eine Habilitation braucht“, so Lange, „einen besseren Mentor konnte es nicht geben.“ Die Habilitation folgte dann im Fach Innere Medizin 2004, als Christoph Lange nach seiner Rückkehr die Stelle im Forschungszentrum Borstel bereits drei Jahre innehatte und zum Oberarzt aufgestiegen war. Die Habilitationsschrift mit Arbeiten zur Immunrekonstitution bei der HIV-Infektion wurden von der Hector-Stiftung mit einem hoch dotierten Forschungspreis ausgezeichnet.  Die Hector-Stiftung förderte den Arzt auch weiterhin großzügig und unkompliziert. „Diese Unterstützung kam genau zum richtigen Zeitpunkt und war für meine wissenschaftliche Entwicklung maßgeblich “, betont er.

Ganz nah am Patienten

Ob es um HIV oder dann in Borstel immer häufiger um Tuberkulose ging – die Forschungsarbeiten von Christoph Lange waren und sind immer ganz nah am Patienten. Er ist in erster Linie Arzt, die richtige Diagnose und Therapie stehen im Mittelpunkt seines Tuns. Jeden Patienten individuell zu behandeln, gehört zu seinen Zielen. 2009 wurde er Leitender Oberarzt, 2014 ärztlicher Leiter der Klinischen Infektiologie. Ein besonderer Fokus liegt auf der Behandlung der multiresistenten Tuberkulose, deren Fallzahl in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen hat. Inzwischen gehört die Klinik in Borstel zu den führenden Behandlungszentren für diese Patienten in Westeuropa.

Christoph Lange im Gespräch mit Kollegen

© Forschungszentrum Borstel

Mit Hilfe des TBNET, nach wie vor sein Steckenpferd, konnte Christoph Lange eine europäische Datenbank einrichten, die vieles über die Behandlungsmöglichkeiten der multiresistenten Tuberkulose in Europa aussagt. „Als mir angeboten wurde, etwas zu Antibiotikaresistenzen aufzubauen, hatte ich noch wenig Ahnung davon“, erinnert er sich. Gemeinsam mit den Kollegen und Kolleginnen an 23 Kliniken in 16 europäischen Ländern wurden die Behandlungsverläufe von 380 Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose verfolgt. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die vor allem betroffenen Länder in Osteuropa am schlechtesten versorgt sind. „Hier besteht konkreter Handlungsbedarf, den europäischen Nachbarn zu helfen“, bekräftigt Lange. Für sein ernsthaftes Engagement über die Grenzen hinweg wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Staatlichen Universität für Medizin und Pharmazie in Chisinau, Moldawien, verliehen. 2014 erhielt er den Wissenschaftspreis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft „Gesellschaft braucht Wissenschaft“.

Und noch etwas konnten Lange und seine Kollegen anhand der Studiendaten zeigen: Die Definition, welche die WHO bei Tuberkulose für „Heilung“ verwendet, berücksichtigte nicht den tatsächlichen Verlauf der Krankheit. In einem aktuellen Beitrag in der Fachzeitschrift Lancet Respiratory Medicine erklärt Lange gemeinsam mit anderen Experten, warum die WHO ihre Kriterien überdenken sollte.

Deutschland und die Welt

Auch im DZIF blickt der Arzt und Forscher über den Tellerrand hinaus. Die afrikanischen Partner-Institutionen seien eine großartige Einrichtung, aber wenn es nach ihm ginge, bräuchten wir auch ein Netzwerk von Studienzentren in Osteuropa. “In Deutschland ist die Tuberkulose unter Kontrolle, die direkten Anrainerstaaten der EU, Weißrussland, Moldawien und die Ukraine sind aber Hochinzidenzländer für die multiresistente Tuberkulose“ und betont: „Wir müssen unsere Möglichkeiten nutzen, neue Diagnostik und Behandlungsmethoden hier zu entwickeln und dort zu implementieren, wo sie benötigt werden.“ 

Die größten Chancen sieht Lange in einer Weiterentwicklung der personalisierten Medizin. „Derzeit sind wir Vorreiter darin, Patienten mit maßgeschneiderten Therapien zu behandeln.“, erklärt er. Das sei nicht zuletzt durch die infrastrukturelle Förderung im DZIF möglich. Für die Zukunft erhofft er sich Biomarker, mit deren Hilfe sich die notwendige Dauer der Therapien über einfache Blut- oder Urinproben ermitteln ließe. Ein großes Projekt dazu läuft bereits im DZIF. Die Ergebnisse könnten vielen Tuberkulosekranken zugutekommen, hier und anderswo.