Erster Professor für Translationale Virologie

Stephan Urban hat in Heidelberg die erste DZIF-Professur für „Translationale Virologie“ inne.

DZIF-Professor Stephan Urban

© DZIF

Angefangen hat es vor etwa 20 Jahren mit einer Pekingenten-Zucht in Kirchheim bei Heidelberg. Die Ente war damals das Modell der Wahl in der Hepatitis-B-Forschung. So auch für Stephan Urban, der an diesem Modell ein Peptid entdeckte, welches den Eintritt des Enten-Hepatitis-B-Virus in die Leberzelle verhindern konnte. Heute ist ein analoges Peptid unter dem Namen Myrcludex B als hoffnungsvoller Virusblocker in der klinischen Prüfung: in gesunden Probanden und bei chronisch infizierten Patienten. Mit Spannung verfolgt Stephan Urban die ersten Studienergebnisse. Seit 1. April hat er in Heidelberg die erste DZIF-Professur für „Translationale Virologie“ inne.

Obwohl es seit den 1980er Jahren einen Impfstoff gegen Hepatitis B (HBV) gibt, stellt die Viruserkrankung nach wie vor ein globales Gesundheitsproblem dar. HBV ist eine der häufigsten Virusinfektionen. Zwei Milliarden Menschen hatten Kontakt mit dem Virus und rund 350 Millionen Patienten leiden weltweit unter einer chronischen Hepatitis B, die zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen kann. Die Wirkung der verfügbaren Medikamente verzögert zwar die möglichen Folgen der Infektion, führt aber in den wenigsten Fällen zu einer Ausheilung der Erkrankung. „Ich halte es daher für eine sehr wichtige Aufgabe, neuartige und effizientere Medikamente zu entwickeln“, betont Urban im Gespräch. Höhere Heilungsraten damit zu erreichen, wäre ein Riesenerfolg. Dazu könnte  das neue Peptid Myrcludex B beitragen, das der Virologe vor fast 20 Jahren entdeckte. „Damals hätten die wenigsten Forscher gedacht, dass ein Peptid erfolgreich in der Klinik landen könnte“, erinnert er sich schmunzelnd.  Zu teuer, zu instabil, zu ineffizient… Doch Myrcludex B erwies sich als ausgesprochen stabil.  Zudem geht es sehr spezifisch in die Leber und blockiert dort in extrem geringen Dosen den Eintritt des Hepatitis-B-Virus in die Leberzelle.

Der Wirkmechanismus, den Stephan Urban und seine Arbeitsgruppe entschlüsseln konnten, ist schnell erklärt. Das Peptid ist ein Proteinbruchstück aus der Virushülle, das passgenau an die Leberzelle andockt und damit das Andocken der gefürchteten Viren verhindert. Wie der abgebrochene Bart eines Schlüssels bleibt das Peptid im Schlüsselloch stecken und blockiert es für die aktiven Viren. „Wir wissen heute, dass der Rezeptor, an den das Virus bindet, ein Gallensalz-Transporter ist“, erklärt Urban neueste Forschungsergebnisse. Diesen missbraucht das Virus als Eintrittskanal. Ob das Andocken an den Gallensalz-Transporter Nebenwirkungen für die Patienten hat, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Vielleicht eröffnet sich hier sogar ein ganz neues therapeutisches Gebiet für den Wirkstoff, das nichts mit Hepatitis B zu tun hat.

Derzeit steht die Heilung von chronisch Kranken im Vordergrund. „Denkbar sind Kombinationen mit zugelassenen Medikamenten wie Interferon oder Nukleosid-Analoga wie Tenofovir oder Entecavir, aber es gibt viele weitere Möglichkeiten“, ist Urban überzeugt. Voller Enthusiasmus beschwört er sie herauf: Die Übertragung von Mutter zu Kind könne sehr effizient verhindert werden, die Reinfektionsrate nach Lebertransplantationen ließe sich verhindern, und das zu weit geringeren Kosten als bislang… Möglicherweise blockiert das Peptid nicht nur den Eintritt neuer Viren, sondern induziert auch eine Immunantwort gegen die Viren. Die gebildeten Antikörper würden die Infektion neuer Zellen nachhaltig blockieren.

Wenn Stephan Urban von seiner Arbeit spricht, ist schnell klar, dass er nicht zufällig in die Forschung geraten ist. Schon als Schüler hatte er den Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen. Im Keller des Elternhauses in Neustadt a. d. Weinstraße experimentierte er bereits und ist noch heute ganz froh, dass die Eltern nicht immer wussten, was er dort trieb. Der Bundessieg beim Wettbewerb „Jugend forscht“ bestärkte ihn, ein Studium der Chemie und der Biochemie zu beginnen, das er 1991 an der Universität Tübingen mit dem Diplom abschloss. Nach der Promotion am Max-Planck-Institut in Martinsried bei München 1995 war eigentlich ein Auslandsbesuch geplant. Doch es kam anders, denn eine Liebe in Deutschland und eine verlockende Stelle am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg bei Professor Heinz Schaller überzeugten Urban davon, im Lande, das heißt in der Pfalz zu bleiben.

Und er hat es nicht bereut. „Wenn ich die Weinberge sehe, wird mir immer noch ganz warm ums Herz“, gesteht der Wissenschaftler. Er liebt die Gegend, er kocht gern und ab und zu gönnt er sich eine Spritztour ins nahe gelegene Elsass, „wo man hervorragend die entsprechenden Zutaten einkaufen kann.“ Allzu oft kommt er in letzter Zeit allerdings nicht mehr dazu, denn seine Forschungen laufen derzeit auf Hochtouren. Seit 2002 wurde die Lead-Substanz Myrcludex B optimiert, die Toxizitätsstudien sind abgeschlossen und 2011 wurde die Zulassung für die erste Phase-I-Studie, bei der der Wirkstoff erstmals an gesunden Probanden erprobt wird, von der Bundesarzneimittelbehörde BfArM erteilt. An die Woche, in der der erste Mensch in Heidelberg mit Myrcludex B behandelt wurde, erinnert sich Urban gern, denn sie war für ihn in mehrfacher Hinsicht erinnernswert: Neben der ersten Behandlung, einen Tag nach seinem 50. Geburtstag, kam Viktor, sein erster Sohn, auf die Welt. „Eine ganz heiße Woche“, erinnert der Vater sich mit leuchtenden Augen.

Dass er sein Peptid in Zusammenarbeit mit der frühzeitig einbezogenen Biotechfirma Myr-GmbH im DZIF weiterentwickeln kann, sieht Urban als große Chance. „Ich komme ja aus der Grundlagen­forschung und finde diese nach wie vor enorm wichtig. Myrcludex B ist ein sehr gutes Beispiel dafür. „Es war nie beabsichtigt, aus den ursprünglich Grundlagen-geförderten Projekten ein anwendbares Medikament zu entwickeln. Dies ergab sich ab einem bestimmten Punkt von selbst.“ Zweckfreie Forschung sei also immer auch eine ergiebige Quelle für die Anwendung. Man müsse das nur erkennen und entsprechend Förderung bekommen. Hier leisteten das BMBF und das DZIF sehr gute Arbeit, wie er bereits weiß. Einen Wirkstoff entdecken und im Labor zu charakterisieren, ist das eine. Ihn zu einem Medikament zu entwickeln und möglicherweise auf den Markt zu bringen, das andere. Im DZIF hat man dieses Ziel immer im Blick. 

Für Myrcludex B ist das Ziel in Sichtweite. Urban und sein Team warten mit Spannung auf die Ergebnisse der ersten Phase II-Studien, die parallel zur DZIF-geförderten Phase-I-Studie in Heidelberg vom Lizenznehmer und DZIF-Vertragspartner Myr-GmbH in Russland durchgeführt werden. In letztere sind bereits 60 Patienten eingeschlossen. Mit der Forschung zu Myrcludex B und seinen therapeutischen Möglichkeiten wird er noch eine ganze Weile zu tun haben. „Zurzeit findet ein Umdenken im HBV-Feld statt: Was können wir an neuen Wirkstoffen kombinieren, um eine kurative Therapie zu finden?“, erklärt Stephan Urban und sieht optimistisch in die Zukunft. Für ihn wird sie weiterhin eine bewegte sein, denn privat hält ihn sein kleiner Sohn auf Trab und beruflich pendelt er, wenn er nicht gerade zu einer Tagung eingeladen ist, täglich von Neustadt nach Heidelberg. Gern mit dem Zug, denn da könne man am besten arbeiten. Sein Karmann-Ghia Cabrio behält er sich für die Kurzreisen ins Elsass vor, für die er bei allem Erfolg hoffentlich auch in Zukunft ein wenig Zeit erübrigen kann.