HIV-Infektion: Die Strategie der stillen Zellen
Um inaktive Immunzellen zu infizieren, muss das HI-Virus große Hürden überwinden. DZIF-Wissenschaftler haben die Abwehrtaktik dieser Zellen untersucht und Hinweise auf einen neuen antiviralen Mechanismus gefunden. Dieses Wissen könnte helfen, effektivere Therapien gegen HIV zu entwickeln.
Eine Infektion mit HIV führt unbehandelt zu der lebensbedrohlichen Immunschwächekrankheit AIDS. Dank antiretroviraler Therapien kann das Virus im Körper infizierter Patienten inzwischen aber so in Schach gehalten werden, dass keine Erreger im Blut nachweisbar sind. Eine vollständige Heilung ist trotzdem nicht möglich, weil infizierte, aber ruhende Immunzellen ein Virus-Reservoir bilden, das derzeit verfügbare Medikamente nicht erreichen. Da ruhende Immunzellen Abwehrmechanismen gegen HIV besitzen, gelingt die Infektion zwar nur bei sehr wenigen Zellen, diese reichen aber aus, dass sich die Viren von dort aus immer wieder im Körper ausbreiten können. DZIF-Forscher um Professor Oliver Keppler vom Max von Pettenkofer-Institut und Professor Oliver Fackler vom Universitätsklinikum Heidelberg haben untersucht, welche Hürden HIV bei der Infektion ruhender Immunzellen überwinden muss. Gemeinsam mit Kollegen vom DZIF-Standort Gießen-Marburg-Langen haben sie dabei Hinweise auf einen Abwehrmechanismus entdeckt, der sich von den bisher bekannten zellulären Schranken gegen HIV unterscheidet. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin PNAS.
Das HI-Virus infiziert im menschlichen Körper vor allem sogenannte CD4-T-Lymphozyten, die wichtige Zellen des Immunsystems sind. Es vermehrt sich, indem Virus-RNA in der infizierten Zelle in das Erbmaterial DNA umgeschrieben wird. Diese DNA wird dann in das Genom der Wirtszelle eingebaut, wo sie für die Synthese neuer Viren abgelesen werden kann. Ruhende, also inaktive CD4-T-Lymphozyten wehren sich gegen HIV mithilfe des Enzyms SAMHD1, das die Umschreibung der Virus-RNA in DNA blockiert, indem es die dafür notwendigen DNA-Bausteine wegschnappt und spaltet, wie Keppler und Fackler bereits in früheren Studien zeigen konnte. „Viel untersuchte Affenviren – Simian Immunodeficiency Viren (SIV), die als Ursprung von HIV gelten – können dieses Enzym mithilfe ihres sogenannten Vpx-Proteins unschädlich machen; es führt zum Abbau von SAMHD1 in der Zelle“, sagt Keppler. „Auch HIV-2, der ,kleine Bruder‘ des weltweit häufigsten AIDS-auslösenden HIV-1, besitzt ein solches Vpx-Protein.“
Als die Wissenschaftler dem Mechanismus näher auf den Grund gehen wollten, machten sie eine überraschende Entdeckung: Vpx-Proteine von SIVs, die aus weniger untersuchten Affenspezies isoliert worden waren, wirkten nicht auf SAMHD1, konnten die HIV-Infektionsrate in ruhenden CD4-T-Lymphozyten aber trotzdem steigern. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es neben SAMHD1 noch einen weiteren zellulären Faktor geben muss, mit dem sich die Zelle gegen HIV in diesen Zellen abschotten kann und der offensichtlich von diesen speziellen Vpx-Proteinen ausgeschaltet wird“, sagt Fackler. „Interessanterweise blockiert dieser Mechanismus ebenfalls die Umschreibung der Virus-RNA in DNA. Er muss aber fundamental anders wirken, da er im Gegensatz zu SAMHD1 die Menge der DNA-Bausteine in der Zelle nicht beeinflusst.“ Deshalb ist er nach Ansicht der Wissenschaftler möglicherweise sogar noch wichtiger als SAMHD1.
Die Ergebnisse liefern nicht nur neue Erkenntnisse zur Biologie der CD4-T-Lymphozyten im Kontext der HIV-Infektion, sie könnten auch medizinisch wichtig sein. Denn es gibt zwar bei allen HIV-Patienten ein Virus-Reservoir in ruhenden CD4-T-Zellen, die Größe dieses Reservoirs aber ist verschieden. Dementsprechend gibt es auch große Unterschiede zwischen Patienten im Hinblick darauf, wie schnell und stark sich das Virus aus dem Reservoir, z.B. nach Absetzen einer medikamentösen Therapie, wieder ausbreiten kann. Ein besseres Verständnis des neuen Abwehrmechanismus könnte helfen, die Viruslast in diesem Reservoir therapeutisch zu vermindern.