HIV-Infektion: Warum manche Kinder nicht an AIDS erkranken
Das Immunsystem HIV-infizierter Kinder, die auch ohne Therapie nicht an AIDS erkranken, reagiert anders als das von AIDS-kranken Kindern und von Erwachsenen, die trotz Infektion gesund bleiben. Wissenschaftler am Max von Pettenkofer-Institut der LMU und der University of Oxford deckten den Mechanismus ihrer Immunantwort auf, indem sie eine große Gruppe HIV-positiver, gesunder Kinder in Südafrika untersuchten. Die Ergebnisse sind aktuell in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine veröffentlicht.
„HIV-positive Kinder, die nicht an der Immunschwäche AIDS erkranken, sind eine absolute Ausnahme“, erklärt DZIF-Wissenschaftler Dr. Maximilian Muenchhoff von der LMU. In der Regel bekommen mehr als 99 Prozent aller Menschen, die mit HIV infiziert sind, ohne Therapie die Immunschwächekrankheit AIDS, wobei die Erkrankung bei Kindern in der Regel viel schneller verläuft als bei Erwachsenen. Warum Schätzungen zufolge zwischen fünf und zehn Prozent der HIV-positiven Kinder dieses Schicksal nicht teilen, konnte das Team um Dr. Muenchhoff herausfinden. Die Wissenschaftler untersuchten die Immunreaktion von 170 HIV-positiven Kindern in Durban, Südafrika, die zum Zeitpunkt der Geburt oder während des Stillens von ihren Müttern infiziert wurden. Im Schnitt waren diese Kinder bei Eintritt in die Studie acht Jahre und vier Monate alt.
Die immunologischen Untersuchungen zeigen, dass das Virus sich im Körper der Kinder sehr stark vermehrt, sie aber dennoch nicht erkranken. Ihr Immunsystem bleibt voll funktionsfähig. „Diese gesunden Kinder zeichnen sich interessanterweise vor allem durch eine nur schwache Aktivierung des Immunsystems als Folge der Infektion aus. Außerdem beschränkt sich das virale Reservoir, das heißt die von Viren infizierten Zellen, vor allem auf kurzlebige CD4+ T-Zellen und weniger auf die ansonsten auch betroffenen langlebigen Zellen“, erklärt Muenchhoff. Die Forscher konnten zudem zeigen, dass diese Kinder zumeist auch hoch wirksame, breit neutralisierende Antikörper gegen HIV entwickelten.
Die Mechanismen der Immunantwort von gesunden HIV-infizierten Kindern ähneln interessanterweise jenen bestimmter Affen, die natürliche Wirtstiere des Simian Immunodeficiency-Virus (SIV) sind, von dem HIV abstammt. Diese Primaten leben weitgehend unbeschadet mit dem Virus, ohne zu erkranken – trotz starker Virusvermehrung. Hierbei stehen ebenso kurzlebige CD4+ T-Zellen als Reservoir und eine niedrige Immunaktivierung im Vordergrund – ähnlich wie bei den nicht erkrankenden HIV-infizierten Kindern. Bei einem Großteil der HIV-infizierten Patienten liegt dagegen eine erhöhte chronische Immunaktivierung vor, die selbst unter antiretroviraler Therapie anhält und zu Langzeitkomplikationen führt.
Die Erkenntnisse der Studie sind sowohl für die Entwicklung von HIV-Impfstoffen als auch für mögliche Interventionen bei chronischen HIV-Infektionen von Bedeutung. "Dies ist eine bemerkenswerte klinische Studie aus dem Epizentrum der HIV-Pandemie. Die Fähigkeit dieser Kinder, trotz großer Virusmengen und ohne Therapie ein intaktes Immunsystem zu erhalten, kann neue Erkenntnisse zu bis dato unbekannten Abwehrmechanismen liefern, von denen in der Zukunft eventuell auch andere HIV-Patienten profitieren können“, sagt Professor Oliver T. Keppler, Vorstand der Virologie am Max von Pettenkofer-Institut der LMU und ehemaliger Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren in Frankfurt am Main.