HIV-Therapie: Je früher, desto besser
Wenn man Patienten, die das HI-Virus in sich tragen, früher als bisher üblich mit antiviralen Medikamenten behandelt, profitieren sie mehrfach: Zum einen treten schwere Begleiterkrankungen von AIDS seltener auf, zum anderen sinkt das Risiko für verschiedene Erkrankungen, die nicht an AIDS gekoppelt sind. Dies ist das wichtige Ergebnis einer großen internationalen Studie, an der 4685 HIV-Infizierte aus 35 Ländern teilgenommen haben. Die Ergebnisse sind kürzlich im renommierten New England Journal of Medicine veröffentlicht worden.
Die Infektion mit HIV, dem Humanen Immundefizienz-Virus, ist heute mit einer Kombination aus verschiedenen antiviralen Medikamenten so gut behandelbar, dass ein Ausbruch der Immunschwächekrankheit AIDS meist verhindert werden kann. Eine vollständige Heilung ist aber nach wie vor nicht möglich. In der Regel werden Infizierte mit einer Kombination von antiretroviralen Medikamenten behandelt, sobald ihre Abwehr merklich geschwächt ist. Als Indikator für den Krankheitsverlauf dient die Zahl der CD4-Zellen, Helferzellen des Immunsystems, die mit der Vermehrung der Viren im Blut zerstört werden. Sobald ihre Zahl unter 350 pro Mikroliter Blut sinkt, wird die Therapie begonnen.
In der hier zitierten Studie START (Strategic Timing of AntiRetroviral Treatment) kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass ein früherer Beginn der Behandlung von Nutzen sein könnte. „ Eine Behandlung sollte danach bereits beginnen, wenn die Zahl der Helferzellen im Blut noch über 500 pro Mikroliter beträgt, das Immunsystem also noch stärker ist“, fasst der Kölner Infektiologe Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer die Ergebnisse zusammen. Der DZIF-Wissenschaftler an der Uniklinik Köln ist seit Jahren mit der Behandlung und Prävention von AIDS befasst und hat die START-Studie in Deutschland geleitet.
„Es handelt sich hier strategisch um eine entscheidende Studie“, erklärt Fätkenheuer. Denn erstmals konnte man nachweisen, dass eine möglichst frühe Behandlung mehr Nutzen als möglichen Schaden durch Nebenwirkungen mit sich bringt. Die Analysen haben gezeigt, dass die Betroffenen offensichtlich doppelt profitieren. „Es wurden schwere, mit AIDS auftretende Krankheiten verhindert – wie z. B. Tuberkulose, Lungenentzündung oder Lymphome –, aber auch andere Krankheiten, die typischerweise nicht mit einer HIV-Infektion einhergehen“, so Fätkenheuer. Für Krebserkrankungen zeigte sich ein Trend für ein niedrigeres Risiko bei früher Therapie, für kardiovaskuläre Krankheiten gab es keinen Unterschied in den beiden Behandlungsgruppen. „Auch das ist ein wichtiges Ergebnis, denn es war bisher nicht klar, ob eine frühe Therapie ein Risiko für diese Erkrankungen darstellt“, erklärt Fätkenheuer.
In die Studie eingeschlossen waren 4685 Männer und Frauen ab 18 Jahren, die den HI-Virus in sich trugen und noch keine antiretrovirale Therapie erhalten hatten. Ihr Immunsystem war noch relativ stark, das heißt die Zahl der CD4-Zellen lag über 500 pro Mikroliter Blut. Bei der Studie handelte es sich um eine randomisierte Studie: Nach dem Zufallsprinzip erhielt eine Hälfte der Probanden die bisher unübliche frühe Behandlung mit Medikamenten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden über drei Jahre begleitet. „Es grenzt fast an ein Wunder, dass man eine solche breit angelegte und aufwändige internationale Studie erfolgreich bis zum Ende durchführen konnte“, betont Fätkenheuer.
„Man sollte jetzt jedem, der HIV-positiv getestet wird, eine solche frühe Behandlung zumindest anbieten“, ist der Kölner Wissenschaftler überzeugt. Diesen Schluss zieht auch Anthony S. Fauci, der als Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) die Studie mit initiiert hat. Doch geben die Wissenschaftler in der Diskussion auch zu bedenken, dass drei Jahre eine relativ kurze Zeit sind für Patienten, die die Medikamente dann für den Rest ihres Lebens einnehmen sollen. Es wird wichtig sein, Risiken und Nutzen für einen längeren Zeitraum zu beobachten.
Die Studie START wurde von den National Institutes of Health (NIH) und verschiedenen Institutionen weltweit unterstützt. In Deutschland war das BMBF maßgeblich an der Finanzierung beteiligt.