„Humanitäre Hilfe ist keine Hoppla-die-Hopp-Arbeit von übermotivierten Cowboys“

Der DZIF-Infektions- und Tropenmediziner Günter Fröschl (42) aus München war für knapp zwei Monate in Liberia, um bei der bisher größten Ebola-Epidemie zu helfen.

© Günter Fröschl

Der DZIF-Infektions- und Tropenmediziner Günter Fröschl (42) aus München war seit Dezember letzten Jahres für knapp zwei Monate in Liberia, um bei der bisher größten Ebola-Epidemie zu helfen. Mittlerweile herrscht große Erleichterung vor Ort: Der bislang letzte Ebola-Patient des Landes wurde gerade aus dem Krankenhaus entlassen. Aber die Epidemie in Westafrika ist noch lange nicht vorbei. Wir sprachen mit Günter Fröschl über seinen Einsatz im Krisengebiet: 

Welches Erlebnis, das sie bei ihrem letzten Einsatz in Westafrika hatten, wird Ihnen wohl immer in Erinnerung bleiben?

Recht zu Beginn meiner Zeit in Afrika bin ich ins Hinterland gereist, ins Bong County. Dort gibt es vom International Medical Corps, einer amerikanischen Non Governmental Organization, eine Ebola-Behandlungseinheit, in der ich zehn Tage gearbeitet habe. Es gab dort ein kleines Mädchen, das Josephine hieß, drei Monate alt. Erst ist dessen Mutter Ebola-krank aufgenommen worden. Das Baby war zu dem Zeitpunkt noch Ebola-negativ. Die Mutter hat überlebt, obwohl zu dem Zeitpunkt in so einer Einrichtung die Überlebenswahrscheinlichkeit bei nur ungefähr 40 Prozent lag. Einen Tag nach ihrer Entlassung kam sie mit ihrem kleinen Baby wieder zu uns: Jetzt hatte das Baby Symptome und stellte sich als Ebola-positiv heraus. Im Alter von drei Monaten sind die Überlebenschancen denkbar schlecht. Zum Glück haben es letztendlich beide geschafft.

Nachdem Ebola im Herbst 2014 dazu führte, dass die medizinische Versorgung in Liberia nicht mehr gewährleistet war und das größte Krankenhaus der Hauptstadt Monrovia geschlossen wurde, haben Sie sich nach dem Aufruf des Deutschen Roten Kreuzes freiwillig gemeldet, vor Ort zu helfen. Was war Ihre Hauptmotivation?

Der Anlass war in der Tat der Aufruf des Roten Kreuzes, erwogen hatte ich schon länger, vor Ort zu helfen. Ich arbeite seit 13 Jahren im humanitären Umfeld und habe die meisten Erfahrungen mit „Ärzte ohne Grenzen“ gesammelt, die früh signalisiert haben, dass sie jemanden mit meiner Expertise brauchen. Zu Beginn habe ich abgelehnt, weil ich gerade ein neues Forschungsprojekt und Stipendium hatte. Als die Situation in Westafrika zunehmend außer Kontrolle geraten ist, habe ich meine Arbeitgeber ganz informell gefragt, ob es möglich wäre, dass ich mich für einen Einsatz in Liberia freistellen lasse. Von allen Seiten habe ich sofort grünes Licht bekommen. Anschließend genügte ein Telefonanruf und ich war mit dabei.

Wie hat Ihr Umfeld – Ihre Familie und Freunde – auf Ihren Entschluss reagiert, vor Ort zu helfen?

Meine Familie war natürlich besorgt, aber sie hat sich schnell beruhigen lassen, weil sie mich kennt. Denn ich habe immer betont, dass ich an meinem Leben hänge und mich nicht auf irgendwelche unbeherrschbaren Risikoeinsätze einlasse. Die Hilfe vor Ort ist eine professionelle, sehr sortierte Arbeit und ich sehe mich keinesfalls als Helden, der Übermenschliches vollbracht hat. Die Tätigkeit in diesem Setting war einfach nur ein wenig außergewöhnlich. 

Hatten Sie sich die Situation, die Sie in Liberia vorfanden, vor Ihrer Anreise so vorgestellt? 

Ja, da gab es keine Überraschungen, denn ich verfolge über verschiedene Surveillance-Netzwerke, was auf der Welt passiert und ich würde sagen, dass ich ganz gut über die Situation vor Ort informiert war.

Können Sie skizzieren, wie es in Liberia aussah, als sie im Dezember dort ankamen?

Zum Glück habe ich keine Toten mehr auf den Straßen liegen sehen. Auffällig war das Verhalten der Menschen, das ich sehr beeindruckend fand. Von früheren Reisen in afrikanische Länder kenne ich es so: Man reist dorthin und ist sofort in einer Menschenmenge, in der sich die Leute umarmen und die Hände schütteln. Das war diesmal anders. Man hat gemerkt, dass sich die Epidemie auf das Verhalten der Leute auswirkt. Und genau das war ja auch das Ziel der Informationskampagnen zu Ebola: Ich bin überzeugt davon, dass die Rückläufigkeit der Fallzahlen ganz deutlich diesem Umstand geschuldet ist. 

Sie haben eine so genannte Ebola-Behandlungseinheit, ein Ebola-Feldlazarett, in Monrovia als ärztlicher Leiter mit aufgebaut. Was kann man sich darunter vorstellen?

Im September sind die Ebola-Fälle noch stark gestiegen. Das war der Zeitpunkt, zu dem die deutsche Ebola-Task-Force – bestehend zu einem Drittel aus dem Deutschen Roten Kreuz und zu zwei Dritteln aus der Bundeswehr – entschieden hat, eine dieser Einrichtungen zu übernehmen. Dabei gibt es viele Anforderungen: Das Abwasser muss geregelt werden, die Verbrennungsanlagen müssen nach bestimmten Standards laufen usw. Unsere Arbeit bestand u.a. darin, Handlungsanweisungen aufzustellen und das Personal zu trainieren. Ich selbst war Behandlungseinheits-Manager, also ähnlich wie ein Krankenhausdirektor, der alles koordinieren muss. Wenn Sie so wollen, habe ich zunächst einmal eine Baustelle übernommen.

Wie sieht die Arbeit auf einer solchen Baustelle aus?

Man muss sehr hemdsärmelig vorgehen, um solch ein Projekt überhaupt zum Laufen zu bringen. Wenn mich in Deutschland Ärzte fragen, ob man für einen Einsatz wie in Liberia etwas von Tropenmedizin verstehen muss, kann ich nur antworten: „Nein, eigentlich unnötig“. Es geht vielmehr um Disziplin, z. B. im Umgang mit der Schutzausrüstung: Die persönliche Sicherheit geht immer vor. Ein Beispiel: Man muss eine Orientierung über die Anlage haben und sehr genau wissen, wo Zufahrts- oder Zugangswege für Patienten sind. Die am schwierigsten einzuschätzenden Orte sind solche, an denen unkontrolliert lokale Bevölkerung auftaucht, im Glauben, sie sei vielleicht infiziert. Der für das Personal risikoärmste liberianische Bürger in einer Einrichtung ist der, von dem man weiß, dass er krank ist. Denn er befindet sich isoliert in einem Zelt, in dem nur infizierte Patienten liegen. 

Wie haben die Menschen in Liberia auf Ihre Arbeit reagiert? 

Durchweg positiv. Wenn klar wurde, wer wir sind und was wir machen, sind wir immer wieder von der Bevölkerung angesprochen worden. Die Leute haben sich bedankt, dass wir das Risiko auf uns nehmen und unsere Arbeit leisten. Ich glaube, in Liberia hat man es geschafft, flächendeckend die Bevölkerung auf die Seite der Maßnahmen zu ziehen und die Unterstützung ist fast überall sehr gut.

Lag die Information der Bevölkerung über Ebola und die Motivation, zum Ebola-Screening zu gehen, auch in Ihrer Verantwortung?

Nein, das war nicht unser Job. Humanitäre Hilfe ist keine Hoppla-die-Hopp-Arbeit von übermotivierten Cowboys, die sagen: „We have to do something“ und dann irgendwie alles machen. Das ist eine sehr koordinierte Tätigkeit dort, meistens unter der Schirmherrschaft einer Einrichtung der Vereinten Nationen. Die Personen, die sich um eine Ebola-Behandlungseinheit kümmern, haben in der Regel nicht direkt mit dem Kontakt­manage­ment von Patienten oder mit Informationskampagnen zu tun. Beides ist viel besser in der Hand von Einheimischen aufgehoben, denn bei Auswärtigen ist nicht sicher, ob sie die richtigen Worte finden. Hinzu kommt ein gewisses Misstrauen gegenüber Fremden. Das Wichtigste sind die Menschen, die in die Kommunen gehen, mit den Dorfältesten reden, und versuchen, sie von ihrer Arbeit zu überzeugen. Anschließend wird die Gemeinschaft unter dem „Palaverbaum“ Informiert.

Nach Weihnachten zeichnete sich ab, dass die Ebola-Fallzahlen zurückgingen. Daraufhin haben Sie für die bisherige Ebola-Station ein neues Konzept entwickelt. Was hat es damit auf sich?

Weil Ende Dezember die Fallzahlen schon massiv gefallen waren, haben wir über die Feiertage an einem Konzept gearbeitet, wie wir die Anlage sinnvoll nutzen können, wenn die Fallzahlen dauerhaft niedrig blieben. Während der Ebola-Epidemie gab es eine Reihe von Erkrankungen, die nicht mehr richtig behandelt wurden: Malaria, Fieber, Durchfall. Jeder hatte Angst, dass hinter diesen Symptomen Ebola stecken könnte, so dass das komplette Gesundheitssystem zum Stillstand gekommen ist. Wir haben uns daraufhin dazu entschlossen, unsere ursprünglich als reine Ebola-Behandlungseinheit geplante Station in eine erweiterte Infektionsstation umzuwidmen. Dort nehmen wir die Leute auf, die Verdachtsfälle sein könnten und testen auf Ebola. Wenn die Patienten sich als positiv herausstellen, verlegen wir sie zu einer der bestehenden Ebola-Einrichtungen. Die Patienten, die nach zwei sukzessiven Tests als Ebola-negativ bestätigt wurden, können wir dann in unserer Einrichtung unter reduzierten Schutzvorkehrungen behandeln.

Auch in der Vergangenheit haben Sie schon in Afrika gearbeitet, beispielweise in Projekten von „Ärzte ohne Grenzen“. Welche früheren Erfahrungen haben Ihnen bei dem letzten Projekt geholfen?

Das Entscheidende ist die interkulturelle Kompetenz. Man muss von Vornherein wissen, dass man nicht als „deutsche Maschine“ in Afrika ankommen darf und „zack, zack, zack“ alles durchziehen kann. Es ist wichtig, ein gewisses Gespür für Menschen mitzubringen – vor allem, wenn man eine Leitungsfunktion innehat. Das zweite ist ein gewisser Realismus dessen, was möglich ist und was nicht. Es gibt z. B. immer Probleme mit der Logistik oder der Kühlkette. Wichtig ist, die Kirche im Dorf zu lassen.

Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach besonders wirkungsvoll, um gegen Ebola vorzugehen?

Das Verhalten der Menschen ist absolut das Wichtigste, um eine Epidemie wie Ebola einzudämmen. Dazu brauchen Sie eine informierte Bevölkerung. Das Problem ist nicht nur, Ansteckungen zu vermeiden, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Überlebenden wieder durch ihre Gemeinde aufgenommen werden. Sie können noch so tolle Einrichtungen bereitstellen: Wenn Sie die Bevölkerung nicht auf Ihrer Seite haben, ist jede andere Tätigkeit für die Katz´.

Zur Person

Derzeit ist Günter Fröschl Stipendiat des Clinical-Leave-Programms des DZIF. Noch bis Ende April ist er von seiner klinischen Arbeit freigestellt – einen Verlängerungsantrag hat er bereits gestellt –, um sich voll und ganz auf die Laborforschung bei Frau Prof. Ulrike Protzer in der Virologie an der TU München zu konzentrieren: Dabei geht es um Hepatitis B im Zusammenhang mit HIV-Koinfektionen. Anhand einer Kohorte aus Bonn und Proben aus Tansania analysiert er die Immunantworten. Als „Münchener Kindl“, quasi in Sichtweise von seinem jetzigen Arbeitsplatz rechts der Isar geboren, hat er 1993 bis 2000 an der TUM studiert, seit 2002 ist er Mitglied bei Ärzte ohne Grenzen. Seinen Facharzt hat er für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung „Tropenmedizin und Infektiologie“. Außerdem verfügt er über viel Auslandserfahrung: Er war in Afrika und Südostasien tätig. Am Münchner Tropeninstitut arbeitet er seit 2009.

Das könnte Sie auch interessieren