Meilenstein in der Tuberkuloseprävention
Basierend auf mehr als 80.000 Patientendaten hat eine internationale Forschungsgruppe ein Programm entwickelt, das das individuelle Risiko einer Tuberkuloseerkrankung vorhersagen kann. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden am 19. Oktober 2020 in der renommierten Fachzeitschrift NATURE MEDICINE vorgestellt.
In Deutschland sind schätzungsweise sechs Millionen Menschen mit dem Erreger der Tuberkulose, Mycobacterium tuberculosis, infiziert, aber nur weniger als ein Prozent dieser Menschen erkranken jährlich und müssen behandelt werden. Um den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern, können „latent“ infizierte Personen, die über die gängigen immunologischen Tests identifiziert werden, präventiv mit Antibiotika behandelt werden. Wie sinnvoll das im Einzelfall ist, kann das neue Programm nun berechnen.
„Da die Immuntests das zukünftige Auftreten der Tuberkuloseerkrankung nur sehr unzureichend vorhersagen, wäre es uneffektiv, alle Personen mit einem positiven Testergebnis auch vorsorglich mit Antibiotika zu behandeln“, erklärt Prof. Christoph Lange, Klinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel, Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und Koautor der aktuellen Studie. Eine präventive Antibiotika-Therapie der Tuberkulose ist mit vier Monaten Dauer sehr langwierig und ein Antibiotikum nicht ohne Nebenwirkungen.
„Es gilt, die Untersuchungen auf Personen aus Risikogruppen zu beschränken, um diejenigen zu identifizieren, die das höchste Erkrankungsrisiko haben", erklärt Lange. Dazu gehörten z. B. enge Kontaktpersonen von Tuberkulosepatienten (besonders Kinder), immungeschwächte Personen und Migranten aus Hochinzidenzländern. Eine weitere Risikogruppe seienTuberkulose-Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis, einer entzündlichen Darmerkrankung oder einer Schuppenflechte, die mit sog. TNF-Antagonisten behandelt werden. Diese Personen sollten bei positivem Testergebnis auch vorsorglich eine Antibiotikatherapie bekommen.
Das neue Programm „Periskope-TB“ kann nun im Einzelfall abschätzen, wie hoch das Risiko des Auftretens einer Tuberkulose ist und damit z. B. Ärztinnen und Ärzten in Gesundheitsämtern, HIV-Schwerpunktpraxen oder Erstaufnahmeeinrichtungen eine Entscheidungsgrundlage für eine präventive Therapie bieten.
Für dieses Programm hat die internationale Forschungsgruppe unter Leitung von Dr. Rishi Gupta vom University College London Daten von insgesamt 80.468 Personen aus 20 Ländern zusammengetragen, von denen Informationen zum Auftreten einer Tuberkulose in den kommenden Jahren nach Testung mit einem Tuberkulin-Hauttest oder IGRA (Interferon Gamma release assay) vorliegen. Das Programm errechnet anhand von Schlüsselvariablen, wie hoch das Risiko für das zukünftige Auftreten einer Tuberkulose im individuellen Fall ist und wie hoch die Anzahl der Personen ist, die präventiv antibiotisch behandelt werden müssen, um einen Fall einer Tuberkulose zu verhindern. (www.periskope.org).
Hintergrund
Die Tuberkulose ist die häufigste zum Tode führende Infektionskrankheit weltweit. Die Übertragung der Tuberkulosebakterien von Mensch-zu-Mensch erfolgt über Tröpfchen, die von Patienten, die an einer Lungentuberkulose erkrankt sind, ausgehustet werden und von Kontaktpersonen eingeatmet werden. Solche Kontaktpersonen von Menschen, die an einer Tuberkulose erkrankt sind, vor allem kleine Kinder, immungeschwächte Personen und Personen aus Ländern, in denen die Tuberkulose häufig vorkommt, haben ein erhöhtes Risiko, an einer Tuberkulose zu erkranken. Etwa jeder vierte weltweit, so die Schätzung, ist latent infiziert, hat also Tuberkulosebakterien im Körper; eine Erkrankung erfolgt aber nach derzeitigem Wissen nur bei weniger als einem Prozent der Personen mit einem positiven Testergebnis.
Ob man sich bereits mit Tuberkulosebakterien angesteckt hat, kann mit Immuntest nachgewiesen werden. Diese Tests können die Infektion selber nicht nachweisen, sondern geben indirekt darüber Auskunft, ob im Körper Abwehrzellen gebildet worden sind, die sich gegen Tuberkulosebakterien oder einzelne Bestandteile der Tuberkulosebakterien richten. Die am häufigsten verwendeten Tests sind der Tuberkulin-Hauttest und der sog. Interferon-gamma release assay (IGRAs). Ist bei einer Person aus den oben genannten Risikogruppen ein Test positiv, kann durch eine vorsorgliche Behandlung mit einem Antibiotikum die Entstehung einer aktiven Tuberkulose verhindert werden. Eine Antibiotikatherapie zur Tuberkuloseprävention dauert 24 mal länger als die Behandlung einer normalen Lungenentzündung.