Von Mücken und Menschen
Esther Schnettler vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin beobachtet für uns die Ausbreitung der Mücken und ihrer Viren.
Für die meisten Menschen sind Mücken lästige Plagegeister, die nicht nur nervig summen und stechen, sondern dabei auch noch unangenehme Krankheiten übertragen können. Für Esther Schnettler aber sind sie vor allem hochinteressante Forschungsobjekte, über die man gerade in Zeiten des Klimawandels möglichst viel wissen sollte. Seit 2016 sorgt die gerade einmal 40-jährige Forscherin auf einer DZIF-Professur am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg dafür, dass sich die Mücken nicht unerkannt ausbreiten können.
„Natürlich finde ich Mückenstiche doof“, gibt Esther Schnettler gleich zu Beginn unseres Gesprächs lachend zu. Aber in ihrem Arbeitsumfeld am BNITM, hoch über der Elbe, brauche sie sich nicht zu sorgen. Hier sind die Stechmücken in den Behältern gezählt und sie merkt sofort, wenn eine fehlt. Die Mücken haben es ihr angetan – oder besser gesagt: die Mücken und die Arboviren, die von ihnen bewirtet und über einen Stich an den Menschen weitergegeben werden. Hier liegt das eigentliche Interesse der jungen Professorin: Wie kann es sein, dass diese Arboviren, die zum Beispiel das West-Nil-, das Dengue- oder das Chikungunya-Fieber verursachen, in Mücken und Menschen überleben – zwei ganz unterschiedlichen Wirtssystemen? Und was machen wir, wenn die Stechmückenarten aus wärmeren Gefilden dem Klimawandel nach Norden folgen und auch bei uns tropische Fiebererkrankungen verbreiten?
Als Esther Schnettler sich im Jahr 2001 für ein Studium entscheiden musste, waren diese Fragen für sie noch ganz weit entfernt. „Ich mochte vor allem die Fächer Biologie und Mathematik und da passte ein Studium der Biotechnologie ganz gut.“ Und so entschied sie sich ganz pragmatisch für ein Studium in den Niederlanden, wo das Fach neu strukturiert mit Bachelor- und Masterabschlüssen und viel Englisch angeboten wurde. Englisch freilich nicht im ersten Jahr, da hieß es „Nederlands spreken“. Ihr gefiel die Sprache und „wenn man sie erst einmal kann, verlernt man sie nie“, weiß Schnettler, die ihr gesamtes Studium im deutschen Nachbarland verbrachte. Bis auf ein 6-monatiges Praktikum, das sie als „Auslandserfahrung“ in Deutschland absolvierte.
Von Pflanzen, Tieren und Viren
Die Verfahrenstechnik selber fand die Forscherin allerdings schnell weniger spannend als die Molekularbiologie, die sich in Form von Viren oder anderen kleinen Lebewesen in den Kesseln der Biotechnologen abspielte. Im September 2010 erhielt Schnettler ihren Doktortitel mit einer Arbeit über Pflanzenviren und der Grundstein ihrer Karriere war gelegt. Für den Post-Doc suchte sie gezielt nach einem Labor, in dem Virenforschung betrieben wurde. Englischsprachig sollte es sein, „das war die Bedingung meines Partners, um mitzugehen“, erzählt sie. Die Entscheidung fiel für Schottland, zunächst Edinburgh, dann Glasgow, wo sie am "Centre for Virus Research“ bis 2016 Arboviren erforschte. „Das war eine besondere Zeit dort, weil ich in so vielen verschiedenen Projekten arbeiten konnte und großes Glück mit meinem Betreuer hatte“, erinnert sie sich.
Überhaupt fällt häufig das Wort „Glück“, wenn Esther Schnettler ihre Karriere Revue passieren lässt. Doch es ist wohl eher ihre Entscheidungsfreude und Dynamik, die sie vorangetrieben hat und nach immer neuen Zielen streben ließ. Drei Mal fiel sie für kurze Zeit und aus gutem Grund aus dem Arbeitsleben aus: 6 Jahre, 3 Jahre und 8 Monate sind die Kinder alt, die diese Pausen erforderlich machten. Wie man das schafft, mit drei kleinen Kindern dennoch fast Vollzeit zu arbeiten? „Hier habe ich wirklich Glück gehabt, denn ich habe schon länger einen Hausmann an meiner Seite.“
Von Arboviren und Mücken
Glasgow verließ Esther Schnettler 2016, als „eigentlich gerade ein Hauskauf geplant war“. Das DZIF und das Bernhard-Nocht-Institut riefen nach einer medizinischen Entomologin und lockten Esther Schnettler auf eine W2-Professur. Als Entomologin oder Insektenforscherin im klassischen Sinne würde sie sich nicht bezeichnen – Insektenkästen mit aufgespießten Schmetterlingen oder Käfern sind der Forscherin fremd. Aber die medizinische Entomologie und das Thema der Stelle passten genau: Immunantworten von Arthropoden auf arbovirale Infektionen und ihre Wirkung auf die Vektorkompetenz. Was für Laien zunächst wenig eingängig klingt, war für Esther Schnettler die Erfüllung ihrer Träume. Endlich konnte sie im Detail studieren, wie Stechmücken mit Viren umgehen, wie sie die Infektion überleben und weitergeben. „Vektorkompetenz ist tatsächlich ein Schlüsselwort in meiner Arbeit“, erklärt Schnettler. Es geht darum, zu erkennen, warum bestimmte Stechmückenarten bestimmte Viren besser übertragen als andere und natürlich auch, welche Gefahren damit für den Menschen verbunden sind.
Um das zu erforschen, bieten das Tropeninstitut und das DZIF beste Voraussetzungen. In einem Hochsicherheitsinsektarium können die Mücken bei unterschiedlichen Temperaturen auf ihre Kompetenz getestet werden, auch pathogene Viren zu übertragen. Die Experimente sind nicht ganz einfach und erfordern etwas Fingerspitzengefühl. Zunächst werden zirka 100 Mücken aus Eigelegen hochgezogen. Um sie in ihren Käfigen einzufangen, setzen die Forscher kleine Staubsauger ein. Dann folgt eine kurze Betäubung und nun heißt es, die Weibchen heraussuchen. Denn nur diese saugen Blut und übertragen später damit Krankheitserreger. „Wir lassen sie 24 Stunden hungern und dursten und stellen ihnen anschließend eine Blutmahlzeit hin, die je nach Versuchsansatz mit Viren versetzt ist“, erklärt Schnettler. Die dicken, vollgesogenen Mücken sortiert man dann aus und inkubiert bei verschiedenen Temperaturen über unterschiedliche Zeiträume. Welche Viren dann wie übertragen werden, kann anschließend untersucht werden. Dazu werden die Mücken auf einer Platte „festgeschnallt“ und dazu gebracht, den Speichel in eine Pipettenspitze abzugeben. „Man kann damit den Mückenstich natürlich nur simulieren“, erklärt Schnettler, aber es reicht aus, um einiges über die Übertragbarkeit von Viren durch Mücken zu lernen.
Von Mücken und Klimawandel
Im DZIF leitet Esther Schnettler außerdem eine Arbeitsgruppe, die sich zusammen mit der Arbeitsgruppe von Jonas Schmidt-Chanasit und anderen entomologischen Gruppen in Deutschland, um die Einschleppung und Verbreitung neuer Krankheitserregern durch Stechmücken kümmert. Heimische Stechmückenarten werden flächendeckend erfasst, um insbesondere neue invasive Arten wie die Asiatische Tigermücke frühzeitig aufzuspüren. Sie wurden bereits in Deutschland gesichtet und konnten, in Laborversuchen das Chikungunya-Virus auch bei moderaten, nicht tropischen Temperaturen von 18oC übertragen. Allerdings ist ihr Vorkommen bisher sehr gering und die Gefahr nicht groß. „Doch wir müssen die Mücken in Anbetracht der steigenden Temperaturen mit dem Klimawandel gut beobachten und die Risiken für tropische Krankheiten immer wieder neu bewerten“, bekräftigt Esther Schnettler. Sie für die Beobachtung und Risikobewertung als „Herrin der Mücken“ im DZIF zu wissen, ist eine große Beruhigung.