Zwei Ansätze – ein Ziel

Timo Niedermayer und Leonard Kaysser auf der Suche nach neuen natürlichen Wirkstoffen gegen Bakterien, Viren und Pilze.

Leonard Kaysser und Timo Niedermeyer

© DZIF

Der eine spricht von „Schätzen, die gehoben werden können“, der andere hat neue „Compounds“ im Blick. Doch beide – Timo Niedermeyer und Leonard Kaysser – meinen das gleiche und verfolgen ein Ziel: Als jüngst berufene Juniorprofessoren in der TTU „Neuartige Antiinfektiva“ wollen sie neue natürliche Wirkstoffe gegen Bakterien, Viren und Pilze finden. Seit November 2013 sind die beiden Wissenschaftler an der Universität Tübingen für das DZIF tätig.

Timo Niedermeyer arbeitet in der Mikrobiologie/Biotechnologie zum Thema „Antiinfektiva aus Actinomyceten“, Leonard Kaysser besetzt im Bereich der Pharmazeutischen Biologie das Thema „Synthetische Biologie antiinfektiver Verbindungen“. In Tübingen arbeiten sie in unmittelbarer Nachbarschaft und so ist es kein Wunder, dass sie bereits nach kurzer Zeit „gemeinsame Sache“ machen wollen. „Ich bin der Pharmazeut in der Biologie“, erklärt Timo, „Leo ist der Biologe in der Pharmazie“. Und beides werde gebraucht, um neue Wirkstoffe aufzuspüren und weiterzuentwickeln.

Ihre Suche nach neuen Antiinfektiva konzentriert sich auf natürliche Wirkstoffe. Denn die meisten wirksamen Medikamente gegen Infektionskrankheiten, die derzeit auf dem Markt sind, werden von Bakterien oder Pilzen produziert. Das Potenzial dieser natürlichen Substanzen in der Natur ist längst noch nicht ausgeschöpft, doch der Aufwand ist groß. So groß, dass die Pharmaindustrie sich aus dem Screening weitgehend zurückgezogen hat. Hier sieht das DZIF seine Aufgabe darin, eine Lücke zu schließen und neue Wirkstoffe aufzuspüren, zu isolieren und zu untersuchen.

In Tübingen steht seit langem eine Bakteriengruppe im Mittelpunkt, die sich immer wieder als Lieferant von interessanten Wirkstoffen hervorgetan hat: die Gruppe der Actinomyceten. Auf diese Bakterien wird sich auch Timo Niedermeyer zunächst konzentrieren und dafür Stämme kultivieren, Extrakte auf wirksame Substanzen screenen und die Strukturen von gefundenen Substanzen aufklären. „Manche meinen, mit dieser klassischen Herangehensweise kann man keinen Blumentopf mehr gewinnen“, schmunzelt Timo und fügt gleich hinzu: „Da bin ich ganz anderer Meinung.“ Und die Actinomyceten, da ist sich der Pharmazeut sicher, sind längst noch nicht ausgereizt. Eine historische Sammlung von rund 600 Substanzen steht bereits in Tübingen zur Verfügung, um nach Antiinfektiva zu suchen. „Das ist ein Schatz, der ebenfalls gehoben werden kann.“

Der Pharmazeut in der Biologie

Schon früh begeisterte sich Timo Niedermeyer für Naturstoffe. „Mich interessierten Pflanzen – ob Heilpflanzen oder Giftpflanzen, ich finde es einfach spannend, was in der Natur so alles produziert wird.“ Kurzzeitig kämpfte er mit sich, ob er seinem naturwissenschaftlichen Interesse oder seiner Liebe zur Musik folgen sollte. Dann entschied er sich: Er studierte Pharmazie in Berlin und machte die Musik zum leidenschaftlichen Hobby; mit Erfolg: Timo Niedermeyer beherrscht heute viele Instrumente.

Nach seiner praktischen Doktorarbeit in Greifswald von 2002 bis 2004 arbeitete er einige Jahre bei der Riemser Arzneimittel AG im Bereich „Chemistry, Manufacturing and Controls“ und ging 2008 als „Head of Natural Product Research and Development“ zur Cyano Biotech GmbH nach Berlin. Dort konnte er in den letzten Jahren den gesamten Prozess vom Screening und der Isolierung über die Strukturaufklärung bis hin zu präklinischen Versuchen verantworten. Der Ruf auf eine Professur kam für ihn zu einem guten Zeitpunkt, schon ein wenig länger hatte er mit dem Gedanken gespielt, zu habilitieren. Der Sprung von Greifswald über Berlin in den Süden nach Tübingen war dabei kein Problem für ihn. Allerdings pendelt er derzeit noch, denn der Umzug mit Familie – Frau und vier Kinder – erfordere doch etwas mehr Zeit.

Der Biologe in der Pharmazie 

Da hatte es Leonard Kaysser, gern einfach Leo genannt, doch etwas leichter. Seine Frau und das acht Monate alte Baby mussten einfach mit nach Tübingen. San Diego in Kalifornien, wo Leo die letzten drei Jahre die Chemie und Biosynthese von marinen Naturstoffen erforscht hat, wären zum Pendeln schlicht zu weit. Stuttgart – Zürich – Stuttgart – Sydney – Tübingen – San Diego – Tübingen … die Stationen von Leonard Kayssers beruflicher Laufbahn klingen nach Globetrotter, doch eigentlich, meint Leo, sei er sehr heimatverbunden. Letztendlich war es immer der wissenschaftliche Reiz, der das Ziel bestimmte. So auch bei der letzten Station in Kalifornien, wo Leo im Labor von Professor B. S. Moore, einem Pionier der marinen Naturstoffforschung, neueste Methoden erlernen und anwenden konnte.

Leonard Kaysser‘s Laufbahn begann mit einem Studium der Technischen Biologie in Stuttgart, wo er sich bereits auf mikrobielle Biotechnologie und Naturstoffe konzentrierte. „Wie können Lebewesen so komplexe chemische Stoffe bilden?“ Diese Frage faszinierte ihn von Anfang an. „Nach einem Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich fertigte er seine Diplomarbeit an der Universität Stuttgart an und ging anschließend für ein halbes Jahr nach Sydney, Australien, wo er sich mit pathogenen Bakterien und Qualitätskontrolle beschäftigte und nebenbei, wenn die Zeit es zuließ, auch ab und zu „abtauchte“. Ein Hobby, dem er in Tübingen nicht mehr so gut nachgehen kann. Aber dazu bliebe eh zu wenig Zeit und seit er Vater ist, habe er „Schlafen“ als neues Hobby erkoren.

Tübingen ist für den Juniorprofessor kein Neuland, sondern „Heimat“. Denn dort hat Leonard seine Doktorarbeit angefertigt, in der er sich mit der Biosynthese von Sekundärmetaboliten aus Bakterien befasste. Er entdeckte die ersten Gencluster für die Biosynthese eines Antibiotikums und erwarb Kenntnisse und Fertigkeiten in der Biosynthese von Naturstoffen sowie in der Molekularbiologie. Gencluster sind Gruppen von Genen, die meist für einen bestimmten Stoffwechselweg kodieren und auf dem Genom nah beieinander liegen.

Vom Gencluster zur neuen Substanz

Leonard Kaysser geht davon aus, dass die meisten Actinomyceten 10- bis 30-mal mehr Naturstoffe herstellen könnten, als wir derzeit wissen. Dieses Potenzial an neuen Biosynthesewegen möchte er anhand von Genclustern erkennen. Wenn er spannende Cluster ausfindig macht, will er sie in anderen Bakterien klonieren und auf diese Weise hoffentlich neue Substanzen generieren. „Und dann kommt Timo wieder ins Spiel, der die Substanzen isolieren kann und die Strukturen aufklärt.“  

Natürliche Wirkstoff-Sammlungen

Mit dem DZIF steht den jungen Wissenschaftlern nicht nur ein Netz von Experten zur Verfügung, sondern auch eine umfassende „Natürliche Wirkstoffbibliothek“, die von den Mitgliedern des DZIF aufgebaut wird und allen für Screening-Kampagnen zur Verfügung steht. Bereits jetzt enthält sie mehrere hundert Reinstoffe und mehrere tausend Extrakte aus natürlichen Quellen. Zusammen mit den genannten 600 Substanzen in Tübingen wartet also ausreichend Arbeit auf die beiden Professoren. Doch damit nicht genug – auch mit Blaualgen möchte sich Timo noch ein wenig beschäftigen. „Da habe ich in den letzten Jahren Know-how gesammelt und ich bin sicher, dass auch in Cyanobakterien wirksame Substanzen gefunden werden können. Es wäre doch schade, das Potenzial zu verschenken.“

Beim anschließenden Fototermin sind die beiden schnell wieder im Gespräch. Sie plaudern über Kinder und deren Namensfindung, über das Dickerwerden der Männer in der Schwangerschaft und was sonst noch so zählt im Leben von zwei erfolgreichen Jungwissenschaftlern. Ihr Ziel verlieren sie dabei nicht aus den Augen: „Brauchbare Compounds müssen wir finden“, bringt Leo Kaysser es auf den Punkt. Daran werde man ihre Arbeit messen. 

Das könnte Sie auch interessieren