DZIF-Wissenschaftler kämpfen gegen Ebola

Professor Stephan Becker, Direktor der Marburger Virologie und Koordinator des Schwerpunkts „Neu auftretende Infektionskrankheiten“ im DZIF, ist erfahren im Umgang mit hochansteckenden Viren. Im Hochsicherheitslabor der Universität Marburg – das als eines von drei in Deutschland die höchste Sicherheitsstufe BSL4 erfüllt –, wird intensiv zu Ebolaviren geforscht und eine Impfstudie vorbereitet. Stephan Becker beantwortet Fragen zur Ebola-Epidemie und erklärt, was das DZIF im Kampf gegen Ebola leisten kann.

Die Medien sprechen davon, dass Ebola „außer Kontrolle geraten ist“. Was bedeutet das?

Prof. Stephan Becker: Das ist eigentlich irreführend, denn Ebola war noch nie unter Kontrolle. Gemeint ist mit dieser Aussage wahrscheinlich eher, dass die Fallzahlen für einen Ebola-Ausbruch so schwindelerregend hoch werden. Das war man von anderen Ausbrüchen so einfach nicht gewohnt.

Warum ist es diesmal so verheerend und wie lässt es sich eindämmen?

Prof. Stephan Becker: Ausbrüche kann man eindämmen, solange die Fallzahlen gering sind. Mit jedem neu angesteckten Patienten steigt die Zahl der Kontakte exponentiell an. Plötzlich muss man Hunderte oder Tausende von Kontakten nachverfolgen, um einen solchen Ausbruch einzudämmen.  Und das heißt: Man isoliert zum einen den Patienten und zum zweiten beobachtet man dann bei den Kontaktpersonen dieses Patienten, ob sie die Erkrankung auch entwickeln. Man besucht sie jeden Tag und kontrolliert, ob sie Fieber oder andere Symptome für Ebola entwickelt haben.  Wenn das der Fall ist, bittet man die Kontaktpersonen, in die Isolation zu gehen. Wenn man das nicht macht, dann entwischen einem viele Menschen, die wiederum Quelle von neuen Infektionen sind.

Heißt das, dass derzeit sehr viele Patienten „entwischen“?

Prof. Stephan Becker: Das ist genau das Riesenproblem im Moment: Dass die Menschen es nicht einsehen und verstehen, dass sie in Quarantäne gehen müssen. Wenn sich das nicht ändert, werden wir auch noch in vielen Monaten immer neue Infektionen sehen.

Welche Maßnahmen halten Sie in dieser Situation für notwendig?

Prof. Stephan Becker: Das erste und momentan das einzige sind derzeit tatsächlich die beschriebenen Quarantänemaßnahmen, denn wir haben keine Medikamente und keine Impfstoffe in der Hand, die jetzt helfen könnten. Außerdem müssen Patienten so gepflegt werden, dass sich weder Ärzte noch Hilfspersonal anstecken können. Ein wichtiger Punkt sind auch die Beerdigungsriten: Sie müssen so abgewandelt werden, dass sie für Angehörige sicherer werden. Dabei muss man aber die kulturellen Gewohnheiten der Menschen in Westafrika beachten. Sie sollten in der Lage sein, ihre Toten so zu bestatten, wie es in ihrer Vorstellung notwendig ist. Es gibt hoffnungsvolle Ansätze, wie das gelingen kann.

Sind die richtigen Leute vor Ort und macht es Sinn, ganze Kliniken nach Westafrika zu schicken?

Prof. Stephan Becker: Es ist sicherlich richtig, Kliniken hinzuschicken, aber das greift zu kurz. Man braucht natürlich auch das Personal, um sie zu betreiben. Das ist gerade das, was besonders fehlt. Es muss Material kommen, Infrastruktur und die Logistik, aber es muss dann eben auch das medizinische Personal mitkommen. Und das Personal muss für diese Aufgabe ausgebildet werden.  

Wie beteiligt sich das DZIF aktuell am Kampf gegen Ebola?

Prof. Stephan Becker: Verschiedene Mitglieder vom DZIF entsenden Mitarbeiter nach Guinea und nach Liberia, um vor Ort mit Diagnostik zu helfen. In den Behandlungszentren, die aufgebaut worden sind, überprüfen sie die eingelieferten Patienten – sind sie tatsächlich an Ebola erkrankt oder leiden sie an einer Erkrankung, die ganz ähnliche Symptome macht, z. B. schwere Malaria oder auch Typhus? Damit leistet das DZIF derzeit einen ganz wesentlichen Beitrag. Diese Diagnostik ist entscheidend dafür, dass man die richtigen Quarantäne-Entscheidungen treffen kann.

Wie sind die Mediziner vor Ort für Diagnostik ausgerüstet?

Prof. Stephan Becker: Grundlage ist das European Mobile Laboratory, eine EU-Initiative, die von Prof. Stephan Günther aus dem Bernhard-Nocht-Institut (BNI) in Hamburg geleitet wird. Das BNI ist auch Mitglied im DZIF. Das mobile Labor wurde vom Bundeswehrinstitut für Mikrobiologie so entwickelt und konstruiert, dass Wissenschaftler es im normalen Reisegepäck mitnehmen können. Das ist schon im April passiert, als der Ausbruch bekannt wurde. Seitdem sind permanent Wissenschaftler aus Europa vor Ort und betreiben dort die Ebola-Diagnostik. Das BNI und das Bundeswehrinstitut für Mikrobiologie sind übrigens Mitglieder im DZIF.

Was ist darüber hinaus im DZIF geplant?

Prof. Stephan Becker: Wir sind im DZIF-Schwerpunkt „Emerging Infections“ angetreten, um Strategien zu entwickeln, mit denen man Ausbrüche von Viren schnell und wirksam eindämmen kann. Das Konzept basiert auf verschiedenen Säulen: Da ist einmal die schnelle Charakterisierung des Virus über eine PCR-Diagnostik. Die zweite Säule ist die Entwicklung von neuen Impfstoffen, sog. Emergency Vaccines. Die dritte Säule wäre die Austestung von antiviralen Medikamenten. Dieses Konzept wurde zum ersten Mal beim MERS-Coronavirus-Ausbruch in Saudi-Arabien getestet. Da hat es sich als sehr sinnvoll erwiesen. Es laufen jetzt die ersten Vorbereitungen einer klinischen Studie für einen Impfstoff gegen das MERS-Coronavirus. Dann kam der Ebola-Ausbruch …

Gibt es einen Impfstoff-Kandidaten gegen Ebola?

Prof. Stephan Becker: Es gibt derzeit zwei sehr vielversprechende Impfstoffe gegen das Ebola-Virus. Einer davon ist der Adenovirus-basierte Impfstoff, der vorwiegend im NIH gemacht wurde und derzeit in den USA getestet wird. Zum anderen gibt es einen auf dem Vesikulären Stomatitis-Virus beruhenden Impfstoff (VSV-EBOV). Er wurde von Heinz Feldmann hier in Marburg gemacht, bevor Feldmann nach Kanada ging. Für meine Begriffe ist das ein idealer Impfstoff für solche Ausbruchsszenarien. Ein großer Vorteil besteht darin, dass man die Impfung sogar noch einen Tag nach der Infektion machen kann – der Impfstoff ist also auch therapeutisch wirksam. Und ein zweiter Vorteil ist es, dass man nur eine Dosis benötigt. Es war nun der nächste Schritt, diesen Impfstoff, der in Kanada bereits hergestellt wurde, für eine klinische Studie hier in Deutschland zu bekommen. Wir haben alle Wege gebahnt mit dem MERS-Coronavirus, wir haben den Kontakt nach Kanada und wir haben den Kontakt zum Paul-Ehrlich-Institut, das sehr daran interessiert ist, den Impfstoff schnell zu prüfen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen mit einer Studie starten können.

Wie wird die Studie ablaufen?

Prof. Stephan Becker: Der Impfstoff wird im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf getestet werden. Wir haben mit Marylyn Addo eine erfahrene Klinikerin im DZIF, die solche Studien bereits durchgeführt hat. 20 Studienteilnehmer sollen rekrutiert und dann nacheinander geimpft werden. Es geht in dieser Phase-I-Studie um Sicherheit und gleichzeitig um Immunogenität. Für die Rekrutierung gibt es zwei Szenarien. Man könnte Menschen rekrutieren, die nach Afrika gehen wollen. Wenn sich das aus praktischen Gründen als nicht machbar erweist, dann würde man gesunde Erwachsene in die Studie einschließen. Der Impfstoff ist bereits an nicht-humanen Primaten getestet, sodass die Studienlage sehr gut ist.

Wer ist an der Studie beteiligt?

Prof. Stephan Becker: Das DZIF ist beteiligt mit der Marburger Virologie und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie dem Bernhard-Nocht-Institut. Manche Tests werden vor Ort am BNI gemacht werden, andere an der Virologie in Marburg. Wir werden die Studie in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut vorbereiten, das als Bundesoberbehörde für die Zulassung zuständig ist und die Sicherheit gewährleisten muss. Die Rechte an dem Impfstoff wiederum liegen bei einer kleinen Firma, mit der wir auch kooperieren werden. Denn man braucht für die Studienplanung eine Dokumentation über das Herstellungsverfahren.

Wann könnte der Impfstoff bei positiven Ergebnissen in größerem Maßstab zum Einsatz kommen?

Prof. Stephan Becker: Unsere geplante Studie ist ein Teil eines von der WHO koordinierten Konsortiums, das zeitgleich Studien mit demselben Impfstoff in der Schweiz, in Gabun und in Kenia plant. Wir rechnen damit, dass wir etwa 3 Monate nach Studienbeginn alle Daten zusammen haben, die nötig sind, um zu beurteilen, ob die Studie erweitert werden kann und dann auch Menschen in den Epidemiegebieten geimpft werden können.

Könnte es zu einer Mutation kommen, die das Virus noch ansteckender macht und damit seine Verbreitung weiter beschleunigt?

Prof. Stephan Becker: Prinzipiell ist es so, dass diese Viren sich tatsächlich schnell verändern, es kommt immer wieder zu Mutationen. Ich sehe allerdings momentan keinen evolutionären Druck auf den Virus, sich jetzt in Richtung Luftübertragbarkeit zu verändern. Das Virus wird in der bestehenden Form schon gut weitergegeben.

Besteht dennoch die Gefahr einer weltweiten Bedrohung?

Prof. Stephan Becker: Diese Ebola-Epidemie ist in jedem Fall ein sehr großes Risiko. Wenn sie nicht baldigst eingedämmt werden kann, könnte es massive Auswirkungen auf die Ökönomie und Stabilität der Länder dort haben. Die Nachbarländer müssen ihre Grenzen permanent kontrollieren, damit sich die Epidemie nicht weiter ausbreiten kann. Das wird die politische Situation deutlich verschärfen, die ohnehin nicht stabil ist. Der Ebola-Virus-Ausbruch ist nicht nur ein konkretes Infektionsproblem, sondern auch ein humanitäres Problem.

Wäre Deutschland auf mehr Patienten vorbereitet?

Prof. Stephan Becker: Es gibt in Deutschland Sonderisolierstationen mit insgesamt etwa  50 Betten. Wenn der Bedarf darüber hinausgeht, haben wir ein Anpassungsproblem. Ich bin aber überzeugt, dass man in den normalen Krankenhäusern auf  Isolierstationen auch Ebola-Patienten pflegen und behandeln könnte, wenn die Ärzte entsprechend trainiert werden. Das wird aber eine gewisse Unruhe und Angst erzeugen. Insofern sollten wir alles tun, um zu verhindern, dass ein solcher Fall eintritt. Wir sollten jetzt in Westafrika dringend helfen.

Warum hat sich geschultes medizinisches Personal relativ häufig angesteckt?

Prof. Stephan Becker: Ich sehe zwei Gründe. Der eine ist die totale Überlastung von den Ärzten und Schwestern, die dazu führt, dass nicht mehr ausreichend auf den Infektionsschutz geachtet werden kann. Zudem besteht eine große Gefahr für die Ärzte, wenn sie auf Normalstationen mit Patienten zusammenkommen, bei denen Ebola nicht diagnostiziert wurde.  

Wie lange könnte diese Ebola-Epidemie uns noch beschäftigen?

Prof. Stephan Becker: Etliche Monate … Je mehr man jetzt investiert, desto schneller wird es gehen und desto billiger wird es insgesamt werden, wenn man es unter ökonomischen Kriterien betrachtet. Der Ebola-Ausbruch ist schwer und hat dramatische Konsequenzen, aber wenn man die Zahlen der Opfer beklagt, darf man auch nicht vergessen, dass in diesen Bereichen Afrikas ständig sehr viele Menschen an Malaria und anderen Infektionskrankheiten sterben.


Weitere Informationen zu Ebola:

Robert-Koch-Institut

Bernhard-Nocht-Institut

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