Neuer antibakterieller Wirkstoff entschlüsselt

Das Team im Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn: (von links) Annika Krüger, Prof. Dr. Tanja Schneider, Dr. Stefania De Benedetti und Dr. Fabian Grein.

© Uni Bonn/Gregor Hübl

Immer mehr bakterielle Krankheitserreger entwickeln Resistenzen. Die Gefahr nimmt zu, dass gängige Medikamente nicht mehr gegen Infektionskrankheiten wirken. Weltweit sucht die Wissenschaft deshalb nach neuen Wirkstoffen. Forschende der Universität Bonn, des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), der Universität Utrecht (Niederlande), der Northeastern University in Boston (USA) und der Firma NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA) haben nun gemeinsam in einem Bodenbakterium ein neues hochwirksames Antibiotikum entdeckt und seine Wirkungsweise aufgeklärt. Clovibactin attackiert die Zellwand von Bakterien, einschließlich zahlreicher multiresistenter “Krankenhauskeime”. Die Ergebnisse wurden nun im renommierten Journal Cell veröffentlicht.

“Wir brauchen dringend neue Antibiotika, um im Wettlauf gegen resistent gewordene Bakterien zu bestehen”, sagt Prof. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn. In den vergangenen Jahrzehnten sind nicht mehr viele neue Substanzen zur Bekämpfung bakterieller Erreger auf den Markt gekommen. “Clovibactin ist neu im Vergleich zu den gängigen Antibiotika”, sagt die Co-Sprecherin des Transregio-Sonderforschungsbereichs “Antibiotic CellMAP”, die auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich “Life & Health” und im Exzellenzcluster “ImmunoSensation2” sowie stellvertretende Koordinatorin im DZIF-Forschungsbereich Neue Antibiotika ist. Das Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie ist mit dem DZIF darauf spezialisiert, die Wirkungsweise von Antibiotika-Kandidaten zu entschlüsseln.

Das Bodenbakterium Eleftheria terrae subspezies carolina trägt seinen Herkunftsort im Namen: Es wurde aus einer Bodenprobe im US-Bundesstaat North Carolina isoliert und produziert den Wirkstoff Clovibactin, um sich vor konkurrierenden Bakterien zu schützen. “Das neue Antibiotikum attackiert gleichzeitig an mehreren Stellen den Aufbau der bakteriellen Zellwand indem es essentielle Bausteine blockiert”, sagt Prof. Schneider. Mit ungewöhnlicher Intensität heftet es sich gezielt an diese Bausteine und tötet die Bakterien, indem es ihre Zellhülle zerstört.

Clovibactin umschließt die Zielstruktur wie ein Käfig

Wie das genau funktioniert, haben die interdisziplinär-arbeitenden Forschenden gemeinsam entschlüsselt. Das Team um Prof. Kim Lewis vom Antimicrobial Discovery Center der Northeastern University in Boston (USA) und die Firma NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA) haben Clovibactin mit der iCHip-Apparatur entdeckt. Damit lassen sich Bakterien im Labor züchten, die bislang als unkultivierbar galten und daher für die Entwicklung neuer Antibiotika nicht zur Verfügung standen.

“Unsere Entdeckung dieses aufregenden neuen Antibiotikums bestätigt die iCHip-Kultivierungstechnologie bei der Suche nach neuen therapeutischen Wirkstoffen aus bisher nicht kultivierten Mikroorganismen“, sagt Dr. Dallas Hudges, Präsident von NovoBiotic Pharmaceutical, LLC. Das Unternehmen hat gezeigt, dass Clovibactin eine sehr gute Aktivität gegen ein breites Spektrum von bakteriellen Krankheitserregern aufweist und in Modellstudien erfolgreich Mäuse damit behandelt werden konnten. 

Den Wirkungsmechanismus des neuen Antibiotikums haben die Forschenden um die DZIF-Wissenschaftlerin Tanja Schneider aufgeklärt. Die Bonner Forschenden konnten zeigen, dass Clovibactin ganz gezielt und mit hoher Spezifität an Pyrophosphatgruppen bakterieller Zellwandbausteine bindet. Wie genau diese Bindung aussieht, hat die Gruppe um Prof. Markus Weingarth aus dem Fachbereich Chemie der Universität Utrecht in den Niederlanden aufgedeckt. Mit Festkörper-NMR-Spektroskopie entschlüsselten die Forschenden die Struktur des Komplexes aus Clovibactin und der bakteriellen Zielstruktur Lipid II. Diese Untersuchungen, die unter ähnlichen Bedingungen stattfanden, wie sie in der Bakterienzelle vorkommen, zeigten, dass Clovibactin die Pyrophosphatgruppe umgreift. Daher rührt auch der Name “Clovibactin”, abgeleitet vom griechischen “Klouvi” (Käfig), weil es die Zielstruktur wie ein Käfig umschließt.

Kombinierte Attacke minimiert Resistenzentwicklung

Clovibactin wirkt vor allem auf grampositive Bakterien. Hierzu zählen die als “Krankenhauskeime” bekannten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), aber auch die Erreger der weit verbreiteten Tuberkulose, an der weltweit viele Millionen Menschen erkranken. “Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bakterien nicht so schnell Resistenzen gegen Clovibactin entwickeln,” sagt Tanja Schneider. Denn die Erreger können die Zellwandbausteine nicht so leicht verändern, um das Antibiotikum zu unterlaufen – ihre Achillesferse bleibt damit bestehen.

Doch Clovibactin kann noch mehr. Nach dem Andocken an die Zielstrukturen bildet Clovibactin supramolekulare faserartige Strukturen aus, die die Zielstrukturen fest umschließen und die Bakterienzellen weiter schädigen. Bakterien, die auf Clovibactin treffen, werden außerdem dazu angeregt, bestimmte Enzyme – sogenannte Autolysine – freizusetzen, die nun unkontrolliert die eigene Zellhülle auflösen. “Die Kombination dieser verschiedenen Mechanismen ist der Grund für die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Resistenzen”, sagt Tanja Schneider. Dies zeigt, welches Potenzial noch in der natürlichen Vielfalt der Bakterien steckt, die für neue Antibiotika in Frage kommen.

“Ohne die interdisziplinäre Kooperation zwischen den Partnern wäre dieser wichtige Schritt im Kampf gegen Resistenzen nicht gelungen”, sagt Prof. Markus Weingarth. Das Forschungsteam will nun seine Erkenntnisse nutzen, um die Wirksamkeit des Clovibactin weiter zu steigern. “Doch bis das neue Antibiotikum auf dem Markt kommt, ist es noch ein weiter Weg”, sagt Tanja Schneider.

Beteiligte Institutionen und Förderung:

Neben dem Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie und dem Clausius-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn waren an dieser Studie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), die Utrecht University (Niederlande), NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA), die Rijksuniversiteit Groningen (Niederlande), die Universität Tübingen, die Tianjin Medical University (China), die Novartis Institutes for Biomedical Research in Cambridge (USA), die University of Florence (Italien), das Consorzio Interuniversitario Risonanze Magnetiche Metallo-Proteine in Sesto Fiorentino (Italien) und die Northeastern University in Boston (USA) beteiligt. Das DZIF und der Transregio SFB TRR 261 “Antibiotic CellMAP” der Deutschen Forschungsgemeinschaft förderten das Projekt auf Bonner und Tübinger Seite.

Quelle: Pressemitteilung des Universitätsklinikums Bonn.

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