Tuberkulose-Behandlung: Resistenzen sind ein großes Problem

Prof. Dr. Stefan Niemann koordiniert den Forschungsbereich "Tuberkulose" im DZIF.

© FZ Borstel

DZIF-Wissenschaftler am Forschungszentrum Borstel und Kollegen aus England und Südafrika plädieren in der Fachzeitschrift Lancet für eine optimierte Entwicklung von Tuberkulose-Medikamenten. Danach sollen mögliche Resistenzmechanismen im Vorfeld stärker berücksichtigt werden. Mitautor Stefan Niemann erklärt, welche Probleme zu lösen sind.

Pro Jahr erkranken weltweit rund neun Millionen Menschen an Tuberkulose. Wie gut sind die vorhandenen Therapiemöglichkeiten?

Prof. Stefan Niemann: Die Therapiemöglichkeiten für die „normale“ Tuberkulose, also die Krankheitsfälle, bei denen keine Resistenzen vorliegen, sind eigentlich sehr gut. Problematisch wird es, wenn Resistenzen vorliegen, weil man dann nicht mehr auf die Standardmedikamente zurückgreifen kann sondern sogenannte Zweitrangmedikamente einsetzen muss.

Wie häufig tritt dieses Resistenz-Problem bei Tuberkulose-Patienten auf?

Prof. Stefan Niemann: Das Problem ist regional unterschiedlich. Es gibt mittlerweile Regionen in der Welt, wo jeder zweite Patient schon mit einem multiresistenten Keim erkrankt ist und das heißt, dass die beiden Standardmedikamente der Tuberkulosetherapie – Isoniazid und Rifampicin - nicht mehr eingesetzt werden können. Eine Region mit sehr hohen Resistenzraten ist zum Beispiel Weißrussland und auch verschiedene andere Bereiche in der ehemaligen Sowjetunion zeichnen sich mittlerweile durch sehr hohe Raten aus, das heißt der Anteil an Patienten mit multiresistenter Tuberkulose liegt dort zwischen 10 und maximal 50 Prozent.

Wie kann man die multiresistenten Tuberkulose-Erreger bekämpfen?

Prof. Stefan Niemann: Das Problem ist insgesamt vielschichtig. Man muss versuchen, die Ausbreitung solcher multiresistenter Erregervarianten in  den betroffenen Regionen einzudämmen und ihr Entstehen in anderen Regionen zu vermeiden. Hier gilt es,  auf allen Ebenen der Tuberkulosebekämpfung – Diagnostik, Behandlung und auch Infektionskontrolle – zu arbeiten. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel die Diagnostik, also sehr schnell zu erkennen: Ist ein Patient mit einem resistenten Erreger infiziert und muss er eine besondere Behandlung bekommen?

In der neuen Ausgabe von Lancet schlagen Sie und einige internationale Kollegen eine optimierte Medikamentenentwicklung vor, die die Testung von Antibiotika-Resistenzen und ihren Mechanismen mit einbezieht. Was genau wollen Sie erreichen?

Prof. Stefan Niemann: Wenn man weiß, ein Patient hat einen multiresistenten Keim, der nicht mehr mit den Standardmedikamenten zu behandeln ist, dann braucht man neue Medikamente. Da gibt es einige interessante Kandidaten, z. B. Bedaquilin und Delamanid ... Hier ist es besonders wichtig zu vermeiden, dass wieder resistente Erreger entstehen. Und  die Basis dafür ist, dass man weiß, wie die Erreger resistent werden. Also letztendlich braucht man nicht nur die neuen Medikamente, sondern direkt dazu auch  eine vernünftige Diagnostik von evtl. vorliegenden Resistenzen. Diese Diagnostik kann man bei Tuberkulosebakterien über zwei Wege machen: Klassisch mikrobiologisch durch Anzucht und phänotypische Testung, aber auch durch den Nachweis von  Veränderungen im Genom der Bakterien.

Woran liegt es, dass diese Diagnostik von Resistenzen bisher nicht in der Medikamentenentwicklung berücksichtigt wird?

Prof. Stefan Niemann: Das scheitert im Prinzip daran, dass die Firmen a priori wahrscheinlich kein so großes Interesse haben, in diesem Bereich zu investieren. Zum zweiten sind es auch nicht die Firmen, die dann tatsächlich diese mikrobiologischen Tests entwickeln. Zum Teil braucht man eben auch wissenschaftliche Expertise, die man am besten darüber erreicht, dass man die Community in solche Fragestellungen direkt einbindet und Materialien zur Verfügung stellt.

Sind diese Informationen in der Regel öffentlich zugänglich?

Prof. Stefan Niemann: Ein Problem, das jetzt immer mehr in den Vordergrund tritt – gerade bei genetischen Markern für solche Resistenzen –, sind Patent-Bestrebungen. Diese Patente stehen aber einer breiten Nutzung dieses Wissens für die Entwicklung von Nachweismethoden entgegen. Hier sollte man zu einer Übereinkunft kommen, dass Resistenzmechanismen grundsätzlich nicht patentiert werden dürfen.

Was leistet das DZIF in diesem Bereich der Tuberkulose-Forschung?

Prof. Stefan Niemann: Wir haben im DZIF eine breite Forschungsagenda in diesem Bereich. Zum einen analysieren wir natürlich die Ausbreitung solcher Erreger, das heißt wir setzen sog. Fingerabdruck-Studien ein, um die Verbreitung der Erreger in der Welt zu untersuchen: Kommen diese Stämme aus Osteuropa auch in Deutschland an und wenn ja, was heißt das eigentlich für die lokale Epidemiologie in Deutschland. Die Migration nach Deutschland ist ja gerade im Moment wieder sehr stark angewachsen, es könnte also durchaus ein Potenzial da sein. Gleichzeitig können wir durch die Genomanalyse der Erreger Resistenzmechanismen präziser beschreiben. Diese Informationen stellen wir auch Firmen zur Verfügung, die dann neue Tests entwickeln können.

Es gibt demnach eine Gefahr, dass diese resistenten Erreger auch in Deutschland vermehrt auftreten?

Prof. Stefan Niemann: Die Zahlen vom Robert-Koch-Institut zeigen klar, dass die multiresistenten Tuberkulosefälle im letzten Jahr deutlich angestiegen sind. Das sind immer noch insgesamt geringe Fallzahlen, die im Bereich von 100 Neuerkrankungen pro Jahr liegen. Das liegt daran, dass diese Fälle hauptsächlich importiert werden. Die Ausbreitung in Deutschland hängt von vielen Faktoren ab, z. B. der allgemeinen Gesundheit der Menschen. Bei uns sind die Lebensbedingungen so gut, dass die Menschen nicht unbedingt an einer Tuberkulose erkranken. Aber auch hier ist jede Einzelübertragung, die durch einen solchen Patienten mit multiresistenter Tuberkulose erfolgt, ein Ereignis, das verhindert werden muss.